Peter Gbiorczyk Die zwei Reformationen in Landgemeinden der Grafschaft Hanau-Münzenberg (1519 - 1642) – Die Ämter Büchertal und Windecken ISBN: 978-3-8440-6803-0 Prijs: 36,80 € / 46,10 SFR |
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Im Allgemeinen geht man reformationsgeschichtlich davon aus, dass sich Reformation vor allem in den Zentren gebildet hat, und von daher weiß man kaum etwas über den Fortgang der Reformation in den kleinen Dörfern auf dem Land. Es gibt nur ganz wenige Studien, die auf die Entwicklung in einem begrenzten Territorium Bezug genommen haben: Obwohl bis weit ins 19.Jahrhundert hinein der größte Teil der Bevölkerung auf dem Lande lebte, die Kirche das Zentrum des Dorfes war und die gottgewollte Ordnung repräsentierte, ist nur sehr wenig bekannt davon, wie sich Reformation auf dem Land vollzog! Dies hat Peter Gbiorczyk, bis zum Eintritt in den Ruhestand im Jahr 2005 Dekan im Kirchenkreis Hanau-Land, bewogen, nach seinem Buch über die Entwicklung des Landschulwesens in der Grafschaft Hanau nun eine weitere Untersuchung zu veröffentlichen, die sich mit der Reformationsgeschichte in den 19 Landgemeinden der Grafschaft Hanau-Münzenberg von 1519 bis 1642 beschäftigt. Neun Untersuchungsziele (S. 11-13) hat Gbiorczyk sich vorgenommen, die er auf 278 Seiten bestens belegt und in sehr sorgfältiger Weise beschreibt und am Ende der Untersuchung als Zusammenfassung auf sieben Seiten (S. 271-278) darlegt. Dargestellt werden „die Übergänge und Epochen einer zunächst eher lutherischen und dann konsequenter durchgeführten reformierten Reformation im sechzehnten Jahrhundert bis zur Gleichstellung der beiden Konfessionen 1642“ (S.3). Die Konfessionswechsel vom katholischen zum lutherischen und danach zum reformatorischen („2.Reformation“) Glaubensverständnis war zwar ganz eng mit dem Ausbau des landesherrlichen Kirchenregiments verbunden, aber Gbiorczyk zeigt auch auf, dass in den Dörfern die jeweiligen Pfarrer mit ihren jeweiligen theologischen Positionen, die in den Orten politisch Verantwortlichen und die Gemeindeglieder die Veränderungsprozesse in Gang setzten, Widerstand leisteten oder auch verhinderten. „... aufgrund der Selbstverwaltung durch die politischen und kirchlichen Gremien und deren einzelne Akteure, die Presbyterien, Pfarrer und Schulmeister sowie die Schultheißen, Bürgermeister und Geschworenen, und unter anderem durch die Gemeindeversammlungen...(kam es) zu einer maßgeblichen Beteiligung in Unterstützung oder auch Widerstand“ (S. 272f). Kein Wunder also, so der Verfasser, dass es neben der jeweils vorherrschenden Konfessionalisierung auch bleibend traditionelle magisch-abergläubische Volksreligiosität und gelegentlich auch Tendenzen der Ablehnung von Religion gab. „Unter den Einwohnern der Dörfer gab es immer wieder Minderheiten, die die geforderte Teilnahme am lutherisch oder reformiert verstandenen … Abendmahl aus Überzeugung ablehnten und deshalb Gottesdienste gar nicht oder nach der zweiten Reformatioon in benachbarten lutherischen Gemeinden besuchten“ (S.274). Im Übrigen: auch damals wurde ständig über mangelhaften Besuch der Gottesdienste oder Teilnahme am Katechismusunterricht geklagt! Und so schildert Gbiorczyk auch die zahlreichen Strafen und prozessualen Verfahren zur Ahndung vorgefundener Vergehen gegen die religiösen oder moralischen Grundsätze und beschreibt die Hintergründe und Verfahren zu den „Hexenprozessen“ vor dem Landgericht Hanau in den Jahren 1564 bis 1597. Eine weitere intensive Untersuchung gilt dem Verhältnis von Christen und Juden und damit auch der wechselvollen Geschichte von Ablehnung und Verfolgung, aber auch der seit 1603 geltenden Akzeptanz der Juden, wenn freilich in den Folgejahren – wie nicht anders zu erwarten – weiterhin Konflikte zwischen Christen und Juden aktenkundig wurden. Nicht zuletzt, weil auch weiter grundsätzlich ablehnende Haltungen gegenüber den jüdischen Mitbürgern durch vor allem auch reformierte Pfarrer auf den Dörfern auftraten. Und schließlich als weiteres Ergebnis: „Der Dreißigjährige Krieg hatte, wie die oft weitgehende Zerstörung der Dörfer, die Pest und die Schändung und Tötung vieler Einwohner...zeigen, bei allen in den ausgewerteten Dokumenten erkennbaren Bemühungen, das tägliche und auch religiöse Leben immer aufs Neue zu bewältigen und zu gestalten, verheerende Wirkungen“ (S.278). Der Neubeginn in der Reformationsgeschichte der Grafschaft 1642 und die schlussendliche Gleichstellung von überwiegend reformierten und lutherischen Gemeinden seit 1670 beschließt die Aufarbeitung der zwei Reformationen. Gbiorczyk schreibt (S.13), dass es für seine Untersuchung nötig war, „auf die Dörfer“ zu gehen, um das umfangreiche Quellenmaterial aus den Archiven von Kirchengemeinden oder kommunalen Archiven zu sichten, abzuschreiben und auszuwerten – eine, wie ich finde, sehr aufwendige, aber wie sich zeigt, auch lohnende Arbeit neben der Auswertung von Akten in Staatsarchiven und Konsistorien. Und so hat mich gefreut, in der Konkretheit der Beschreibung der „Dörfer“ und der reichen Kirchenlandschaft der „Ämter Büchertal und Windecken“ vielen Orten zu begegnen, die ich aus meiner Zeit als Vikar und Pfarrer in dieser Region, aus der ich stamme, ganz gut kenne. Fasziniert hat mich die ungeheure Sorgfalt, mit der Gbiorczyk sein Werk ausgestattet hat: nicht nur, dass ein dreiseitiges, detailliertes Inhaltsverzeichnis einem das Zurechtfinden, aber auch das Wieder-Nachlesen sehr erleichtert; sondern auch ein äußerst umfangreicher Anhang von mehr als 150 Seiten mit Anmerkungen, Quellen- und Literaturverzeichnis, Worterklärungen, Abkürzungen, Namensregister, Orts- und Länderregister, Sachregister, ca.60 Seiten Quellenanhang und einem Abbildungs-, Tabellen- und Kartennachweis erweitern das Buch auf 432 Seiten. Gerade Letzteres hat einen Umfang von 7 Seiten und unterstreicht, was an reichhaltigem Bildmaterial verarbeitet wurde und es nicht nur gut lesbar macht, sondern auch zum Anschauen und Blättern reizt. Dadurch ist auch der nicht ganz niedrige Preis gerechtfertigt Fazit: das neue kirchenhistorische Buch von Gbiorczyk (übrigens bereits das vierte seit seinem Eintritt in den Ruhestand!) überzeugt durch seine intensive Archivarbeit ebenso wie durch reiche Literaturkenntnis und stringentes Methodenbewusstsein; es liest sich leicht – trotz der bewusst beibehaltenen „mittelalterlichen“ Sprache der Quellen – und ist sorgfältig editiert, mit Ausnahme von einigen wenigen Schreib- und Satzfehlern! Lothar Grigat |
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Bron: Hessisches Pfarrblatt, Dezember 2020, S. 274-276 | |
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Peter Gbiorczyk Die zwei Reformationen in Landgemeinden der Grafschaft Hanau-Münzenberg (1519 - 1642) – Die Ämter Büchertal und Windecken ISBN: 978-3-8440-6803-0 Prijs: 36,80 € / 46,10 SFR |
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Peter Gbiorczyk, bis zum Eintritt in den Ruhestand im Jahr 2005 Dekan des Kirchenkreises Hanau-Land, hat einen weiteren Band zur Erforschung der regionalen Kirchengeschichte vorgelegt. In der neueren historischen Forschung werden die protestantischen Reformationen durch Anwendung der Methoden der vergleichenden Geschichtswissenschaft, der Sozialwissenschaften und der Theologie als Konfessionalisierungsforschung betrieben. In ihr geht es im Gegensatz zu früheren Tendenzen der Geschichtsschreibung darum, die Wandlungsprozesse stärker quellenbasiert mikro- und makrogeschichtlich zu rekonstruieren. Dabei kann die hier vorgelegte Untersuchung einen spezifischen Beitrag erbringen, da es in der Grafschaft Hanau-Münzenberg im 16. Jahrhundert reformatorische Epochen mit ihren Abgrenzungen und Übergängen vom altgläubigen zu einem eher lutherisch geprägten und schließlich reformierten Bekenntnis und der jeweils durch erlassene Kirchenordnungen gestützten Praxis gekommen ist. |
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Bron: blick in die kirche, 5/2020, S. 22 | |
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