Philipp Gatzka Hermann Pünder – Persönlichkeit und Wirken eines deutschen Spitzenbeamten in der Weimarer Republik ISBN: 978-3-8440-4479-9 Prijs: 59,80 € / 74,80 SFR |
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Der heute nur noch wenig bekannte Verwaltungsjurist Hermann Pünder fungierte in seiner frühen Zeit einige Jahre lang als einer jener deutschen Spitzenbeamten, die nach dem Ersten Weltkrieg direkt an den Berliner Schaltstellen der Macht saßen. Als Staatssekretär der Weimarer Republik gehörte er, wie Rudolf Morsey einmal treffend formulierte, "zu den Repräsentanten jener kleinen Gruppe republikanischer Ministerialbeamter, die 1933 aus ihren Ämtern entfernt wurden, das, Dritte Reich´ trotz leidvoller Prüfungen überlebten und dazu beitrugen, die zweite deutsche Demokratie zu fundieren", indem er half, "eine Brücke von der ersten zur zweiten Republik" zu schlagen. 1888 in Trier geboren und in Köln aufgewachsen, fand der Katholik Pünder seine politische Heimat erwartungsgemäß in der Zentrumspartei. Nach Promotion zum Dr. jur. und Kriegsdienst in den Jahren 1914-1918 gelangte er nach kurzer Tätigkeit als Hilfsrichter 1919 ins Reichsfinanzministerium in Berlin. Mit seinem Chef Wilhelm Marx, der 1925 zum ersten Mal Reichskanzler wurde, wechselte Pünder in die Reichskanzlei, wo er bis 1932 blieb und mehreren Regierungschefs loyal diente. Erst nach dem Sturz Heinrich Brünings nahm er seinen Abschied; aus seiner anschließenden Stellung als Regierungspräsident in Münster entfernten ihn im Sommer 1933 die Nationalsozialisten aus politischen Gründen. Die NS-Zeit versuchte Pünder als Landwirt zu überstehen, seit 1939 war er in der Wehrmachtsverwaltung tätig, doch nach dem 20. Juli 1944 wurde er wegen seiner Kontakte zu Carl Friedrich Goerdeler verhaftet und gefoltert, Ende Dezember des Jahres jedoch vom Volksgerichtshof freigesprochen. Trotzdem folgten bis Kriegsende KZ-Haft und weitere Verschleppung. Schon im Sommer 1945 wurde er als vollkommen Unbelasteter von der Besatzungsmacht sofort in neue Ämter berufen; 1945-1948 leitete er als Kölner Oberbürgermeister den Beginn des dortigen Wiederaufbaus, 1948/49 stand der erfahrene Verwaltungsjurist als Oberdirektor an der Spitze des Wirtschaftsrats der drei Westzonen und 1949 wurde er, der 1945 die CDU in Nordrhein-Westfalen mitbegründet hatte, in den ersten deutschen Bundestag gewählt. Als ihn Adenauer wider Erwarten nicht in ein höheres Staatsamt berief, ging Pünder bald in die Europapolitik und konnte noch für einige Jahre als Vizepräsident der Gemeinsamen Versammlung der "Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl" (EGKS) in Luxemburg amtieren; er starb im hohen Alter 1976. Pünders Leben und seine Karriere gelten im Allgemeinen als gut erforscht, was auch daran liegen mag, dass er autobiographische Schriften verfasste: Seine Aufzeichnungen aus den kritischen Endjahren der Weimarer Republik (1929-1932) wurden schon 1961 von Thilo Vogelsang in einer Schriftenreihe des Münchner Instituts für Zeitgeschichte unter dem Titel "Politik in der Reichskanzlei" ediert, und 1968 folgten Pünders Lebenserinnerungen unter dem sprechenden Titel "Von Preußen nach Europa" aus denen bereits eine aufschlussreiche Selbstcharakteristik dieses Mannes als eine sanguinische, in sich ruhende, auf Kontinuität und Verlässlichkeit hin angelegte Persönlichkeit erkennbar wurde. Sein Leben ist bereits in einer erst 2012 erschienenen Biographie von Hildegard Wehrmann dargestellt worden, hier allerdings mit dem Schwerpunkt auf den Jahren nach 1945. Die vorliegende neue Darstellung von Philipp Gatzka, eine Kölner Dissertation, hat es sich hingegen zur Aufgabe gemacht, Pünders Wirken als Staatssekretär in der Weimarer Republik erneut und vertieft in den Blick zu nehmen, um auf diese Weise zu verdeutlichen, "wie sehr ein Spitzenbeamter an der Schnittstelle zwischen Verwaltung und Politik an der Entstehung von Entscheidungen mitwirken konnte, für die sich letztlich nur Politiker zu verantworten hatten". Die Stärke der Studie liegt vor allem in ihrer Quellennähe; erstmals wird der in vier Archiven (Bundesarchiv Koblenz, Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Historisches Archiv der Stadt Köln, Archiv für christlich-demokratische Politik Sankt Augustin) zersplitterte persönliche und amtliche Nachlass Pünders gründlich ausgewertet. Nach einem Überblick über Pünders Sozialisation im Kaiserreich und seine beruflichen Anfänge kurz nach dem Ersten Weltkrieg behandeln die Hauptkapitel Pünders Tätigkeit in der Reichskanzlei unter den vier Kanzlern Hans Luther, Wilhelm Marx, Hermann Müller und Heinrich Brüning, denen er in gleicher Weise als geschätzter, fleißiger, kompetenter und stets wohlinformierter Zuarbeiter diente, der das Feld erst dann freiwillig räumte, als 1932 mit Franz von Papen eine höchst umstrittene politische Persönlichkeit für einige Monate das Amt des deutschen Regierungschefs übernahm. Der Verfasser kann klarmachen, dass es gerade die noch vergleichsweise neuen, von der Weimarer Verfassung nach 1919 geschaffenen Verwaltungsstrukturen waren, die einem begabten und fleißigen Neuling und Sozialaufsteiger wie Pünder Möglichkeiten eröffneten, die es vor 1918 in dieser Form nicht gegeben hatte. Diese neue, politisch und sozial weniger geschlossene Führungsstruktur schuf Raum für leitende Beamte, die sich als kompetent und durchsetzungsstark erwiesen und gerade in Zeiten diskontinuierlicher Ämter- und Regierungswechsel ein wichtiges Stück institutioneller und personeller Kontinuität verkörperten - ein Grund dafür, warum Pünder vier Kanzlern von ganz unterschiedlicher politischer Couleur nacheinander treu dienen konnte (ähnlich übrigens wie sein Pendant Otto Meissner, der als Staatssekretär im Reichspräsidentenamt gar von 1920 bis 1945 ohne Unterbrechung im Amt blieb!). Pünder, der bereits im Alter von 38 Jahren - als bis dahin jüngster deutscher Staatssekretär - in sein Amt gelangte, konnte in den Jahren seiner Tätigkeit in der Reichskanzlei zwischen 1925 und 1932 ungewöhnlich reichhaltige politische Erfahrungen sammeln, nicht zuletzt als Teilnehmer an internationalen Konferenzen. Dass er damit bereits seinen Karrieregipfel erreicht hatte, konnte er seinerzeit noch nicht wissen. Denn nach dem Zweiten Weltkrieg blieben Hermann Pünder höhere Ämter verwehrt; das offenbar besonders erstrebte Amt des ersten Außenministers der Bundesrepublik Deutschland erreichte er nicht, was vermutlich auf anhaltende Differenzen mit Konrad Adenauer zurückzuführen sein dürfte, deren Ursachen auch der Verfasser nicht restlos zu entschlüsseln vermag. Ob es tatsächlich fundamental verschiedene Auffassungen über den künftigen Kurs der westdeutschen Außenpolitik gewesen sein mögen (Gatzka vermutet, der Stresemann-Bewunderer Pünder sei ein potentieller Gegner der Adenauerschen Westbindungspolitik gewesen) oder ob etwas anderes ausschlaggebend war: Pünder hatte damals jedenfalls das Nachsehen. Das mindert im historischen Rückblick keineswegs seine - vom Verfasser der Studie anschaulich herausgearbeiteten – Verdienste um eine zeitweilige Stabilisierung der Weimarer Verhältnisse seit 1925. Als Leiter der Reichskanzlei koordinierte Pünder zwei unterschiedliche Bereiche, indem er einerseits als Leiter der Dienststelle des Reichskanzlers, andererseits als Sekretär der Reichsregierung insgesamt fungierte, damit also stets über Parteigrenzen hinweg agieren und hierbei auch wechselseitiges Vertrauen aufbauen musste. Und das ist ihm ohne Zweifel, wenn auch nur für einige Jahre, auch gelungen. Endlich war Pünder, auch das betont sein Biograph, kein Exponent einer "Republik ohne Republikaner"; er trauerte dem Kaiser eben nicht hinterher, sondern war sogar bereit, Maßnahmen gegen eine Rückkehr des früheren Monarchen zu treffen, auch erwies er sich als uneingeschränkter Verfechter des Republikschutzgesetzes. Sein Handeln als Verwaltungschef der Reichskanzlei war, so Gatzka zutreffend, vor allem geprägt von "Sachlichkeit, Unparteilichkeit, Unbestechlichkeit und strikter republikanischer Gesetzestreue", damit zeigte sich Pünder als Vertreter eines "demokratisch-aufgeklärte[n] Beamtentypus", der "das überkommene Ethos der Beamtenschaft in eine neue Zeit trug und dabei auch modifizierte´: Das alles vermag der Verfasser überzeugend, dazu auch quellenmäßig gut fundiert darzustellen. Gelegentlich hätte man sich jedoch eine straffere, konzisere Darstellung gewünscht; der Autor neigt leider immer wieder dazu, bestimmte Vorgänge allzu detailliert und gelegentlich auch etwas langatmig darzustellen; deutliche Kürzungen hätten dem Buch jedenfalls gutgetan. Nichtsdestoweniger ist dem Verfasser eine wichtige Darstellung über die Reichskanzlei und deren Funktionsweise als wohl wichtigstes politisches Zentrum der Weimarer Republik gelungen - und damit zugleich ein Standardwerk nicht nur zur politischen Geschichte der deutschen Zwischenkriegszeit, sondern auch zur Verwaltungs- und Institutionengeschichte der ersten deutschen Republik. Hans-Christof Kraus, Passau | |
Bron: Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte, Nr. 1-2, 2018, S. 167-170 | |
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Philipp Gatzka Hermann Pünder – Persönlichkeit und Wirken eines deutschen Spitzenbeamten in der Weimarer Republik ISBN: 978-3-8440-4479-9 Prijs: 59,80 € / 74,80 SFR |
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Man wird in der jüngeren deutschen Geschichte nur wenige Persönlichkeiten finden, die sowohl als Verwaltungsgrößen wie auch als namhafte Politiker in Erscheinung getreten sind. Hermann Pünder, dessen Name eng mit Münster verbunden ist, gehört dazu. In seinem von dramatischen Ereignissen und Entscheidungen geprägten Leben spiegelt sich eine lange Karriere zwischen Aufbruch, Untergang und Neubeginn wider. Im Titel seiner 1968 erschienenen Memoiren „Von Preußen nach Europa“ hat er dies anschaulich dokumentiert. Der gebürtige Kölner des Jahrgangs 1888 wurde 1925 in die Reichskanzlei berufen und amtierte im Rang eines Staatssekretärs als deren Leiter von 1926 bis 1932. Er „überlebte“ die Kanzler Hans Luther, Wilhelm Marx und Hermann Müller. Mit dem Sturz Heinrich Brünings 1932 schied er selbst aus dem Amt. Pünder wurde allseits als kompetent und geschickt agierend beurteilt, was nicht zuletzt mit seiner Fähigkeit zusammenhing, Sachverhalte schnell und treffend in Wort und Schrift umzusetzen. Sein Arbeitspensum war enorm. Am Ende des „Dritten Reichs“ gehörte er dem Widerstand an und überlebte nur mit Mühe und Not, spielte aber nach 1945 sofort wieder eine tragende Rolle bei der Gründung der Bundesrepublik. Doch von der Zeit nach 1932 ist in dieser umfangreichen, auf akribischer Quellenarbeit beruhenden Biografie nicht die Rede. Es geht um Pünders bisher eher vernachlässigte Rolle an den Schaltstellen der Macht in der Weimarer Republik sowie um den Einfluss auf die Regierungsarbeit. Der Autor hat eine detailreiche, vielen Charakterzüge und Fähigkeiten Pünders erfassende Darstellung vorgelegt, eingebettet in die tragische Geschichte der ersten deutschen Demokratie. Politische und persönliche Einstellungen Pünders, vor allem seine auf Ausgleich und Mäßigung bedachte Haltung in einem schwierigen Umfeld, werden anschaulich dargelegt. | |
Bron: Westfälische Nachrichten | |
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