Klaus Näumann, Gisela Probst-Effah (Hrsg.) „Altes neu gedacht“ – Rückgriff auf Traditionelles bei Musikalischen Volkskulturen ISBN: 978-3-8440-3084-6 Prijs: 49,80 € / 62,25 SFR |
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Die Kommission zur Erforschung musikalischer Volkskulturen in der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde e.V. ist im Institut für Europäische Musikethnologie beheimatet und richtet alle zwei Jahre eine Tagung aus, bei der zahlreiche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, vorwiegend aus dem deutschsprachigen Raum, ihre Forschungsergebnisse der Kollegenschaft vorstellen. Der Kommission gelingt es immer, die Vorträge und Präsentationen auch gedruckt vorzulegen. 2012 beherbergte die Katholische Akademie in Stapelfeld bei Cloppenburg (südwestlich von Bremen) die Veranstaltung mit dem Thema „Altes neu gedacht - Rückgriff auf Traditionelles bei Musikalischen Volkskulturen", das zeitlos und immer aktuell (und auch international) zu sein scheint. „Altes neu gedacht" ist ja auch für die Arbeit im Österreichischen Volksliedwerk ein wichtiges Grundmotiv und Motto. Auf dem Polster eines Sessels in der Eingangshalle in der Operngasse finde sich der Anfang eines Gedichtes des Bregenzerwälder Mundartdichters Gerhard Wölfle (1 848 - 1904) gestickt: "Meorehrod das Ault, und grüssed das Nü" ("Wir ehren das Alte und grüßen das Neue"). Auch der Eingang in das Lokal soll darauf hinweisen, wenn von einem modern gestaltete Sockel des Vorarlberger Bildhauers Herbert Meusburger der Steinbogen eines alten Mühlviertler Bauernhauses getragen und so quasi das "Alte" vom "Neuen" emporgehoben und hochgehalten wird. Viele Redensarten und Sprüche drücken aus, dass nur Bestand hat, was sich auch ändert. Doch selbstverständlich dies scheinen mag, so vielfältig und bunt ist das Spektrum der Möglichkeiten und das zeigen auch die Vorträge auf der Tagung und die Beiträge in diesem Band. Auf den ersten Blick könnte der Leserschaft das Konzept fast verschlossen bleiben, so verschieden sind die lnhalte - doch bei genauerer Lektüre findet sich der rote Faden, der die Beiträge zusammenhält. Allen gemeinsam ist der Rückgriff auf Vorhandenes und Überliefertes und die Beziehung zur Musik. Damit aber ist es mit der Übereinstimmung schon vorbei, denn die Vielfalt und Unterschiedlichkeit des Gebotenen könnte größer nicht sein. So gibt es kaum eine Musikrichtung, die noch erwähnt und diskutiert wird, der geographische Rahmen der vierzehn Beiträge umfasst nicht nur Deutschland, sondern reicht weit über Europa hinaus bis nach Südamerika und Afrika oder auch Weißrussland, und dass auch die zeitliche Spanne von großer Reichweite ist, erübrigt sich fast zu erwähnen bei einem Tagungsprogramm, von dem Vergangenes in die Gegenwart hereingenommen werden sollte. Eines freilich zieht sich als Tenor und als der erwähnte rote Faden durch alle Beiträge: dass traditionelle Überlieferungen niemals statisch, sondern immer einem Prozess unterworfen sind. Heiko Fabig, der Geschäftsführer der Kommission, beginnt den Band mit Ausführungen über jene populären Lieder, die seit den 1960er Jahren in die Liturgie aufgenommen wurden und seitdem mit großer Begeisterung in der Kirche gesungen werden, so etwa das bekannte Gospel „O happy day" oder die mitreißenden Lieder aus Taizé. Gisela Probst- Effah, die 35 Jahre lang als wissenschaftliche Mitarbeiterin das Institut für Musikalische Volkskunde begleitet hat, langjährige Geschäftsführerin der Kommission war und mittlerweile in Ruhestand ist, untersucht die Ode „An die Freude" und geht den „Verwandlungen eines Gedichts von Friedrich Schiller in der Vertonung von Ludwig van Beethoven" nach - einer Vertonung, die sich nach wie vor so großer Popularität erfreut, dass sie sogar als Handy-Klingelton erhältlich ist. Ernst Kiehl, bekannt durch seine Forschungen im Harz, schreibt über die volksmusikalischen Traditionen bei Joseph von Eichendorffund findet in dessen Tagebüchern, Romanen und Novellen Hinweise auf die Lieder, die der Dichter selbst gerne angestimmt hat. Günther Noll, treuer Begleiter und von 1988 bis 1996 Vorsitzend er der Kommission und zudem lange Zeit Direktor des Instituts für Musikalische Volkskunde, geht auf seinen speziellen Untersuchungsraum Köln ein und beschreibt anhand weniger Beispiele die Vielfalt der Liedgattungen, die in dieser Stadt nicht nur zur Zeit des Karnevals, sondern das ganze Jahr über gesungen werden. Ernst Schusser, Leiter des von ihm gegründeten Volksmusikarchivs des Bezirkes Oberbayern, führt das Publikum in gewohnt launiger Manier auf „einen kurzen Spaziergang durch Neuerungen in der Darstellung von Volksmusik und der Nachempfindung von Volksmusik und ihre öffentliche Bewertung in der Gegenwart" und präsentiert die einschlägigen Strömungen in Oberbayern. Heidi Christ, stellvertretende Leiterin der Forschungsstelle für fränkische Volksmusik, präsentiert die Ergebnisse ihrer Doktorarbeit (2011) über die musikalischen Traditionen der Hersbrucker Alb, einer Region östlich von Nürnberg, die - wie die Ergebnisse ihrer Untersuchung zeigen - in ständiger Bewegung und Wandlung begriffen sind. Zwei Beiträge der Bandes beschäftigen sich mit Instrumenten: Elvira Werner erzählt über das Bandonion, dessen Wurzeln in Carlsfeld im Erzgebirge zu finden sind und das über einen weiten Umweg bis nach Südamerika nach über mehr als einem Jahrhundert nun wieder an den Ort seines Ursprungs zurückgekehrt ist und sich hier in alljährlichen Festivals großer Beliebtheit erfreut. Bernhard Bleibinger entführt die Zuhörerschaft in die wenig bekannte Welt Südafrikas und dokumentiert anhand einiger Liedbeispiele und Musikinstrumente, wie sich in diesen aktuelle tagespolitische Gegebenheiten spiegeln. Kirsten Seidlitz, Manuel Trummer und Marguerite Rumpf beweisen, dass auch Punk, Rockmusik und Heavy MetaI nicht nur Veränderungen unterworfen sind, sondern ihrerseits ebenfalls auf Überliefertem aufbauen und dieses neu in die Gegenwart übertragen. Klaus Näumann, seit 2010 Vorsitzender der Kommission, zeigt uns, wie seit den 1970er Jahren vor dem Hintergrund der politischen Umstände in Weißrussland die Texte der Popularmusik, die auf literarische Vorlagen oder geschichtliche Ereignisse zurückgehen, in der heutigen Landessprache erklingen. Dazu passt auch der kurze Beitrag des Musikethnologen und (hauptberuflichen) Mathematikers Wolf Dietrich über die Musik in Griechenland, in dem die Abhängigkeit musikalischer Aktivitäten von wirtschaftlichen Bedingungen deutlich vor Augen geführt wird. Schließlich berichtet Arm in Griebe!, der Leiter der Forschungsstelle für fränkische Volksmusik, über das Projekt der Band „Kellerkommando" des Bamberger Ethnomusikologen David Saam, der auf Anregung Max Peter Baumanns musikalisch aktiv wurde und einen „Antistadl" organisiert hat, der 2012 bereits sein 10-jähriges Jubiläum feiern konnte und einen Gegenentwurf zur Volksmusik-Fernsehunterhaltung und zu erstarrten Veranstaltungsformen bietet. Mit Hilfe der mehr oder weniger ausführlichen Literaturlisten am Ende eines jeden Beitrags kann die interessierte Leserschaft sich näher mit dem jeweiligen Thema beschäftigen. Es ist erfreulich, dass demnächst weitere Tagungsbände der Kommission zur Erforschung musikalischer Volkskulturen erwartet werden dürfen: 2014 ist es bei der Tagung in Köln um "Musikalischen Wettbewerb" gegangen, und 2016 wird sich die Kommission in Oberbayern dem Thema "Feldforschung“ widmen. Michaela Brodl |
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Bron: Jahrbuch des österreichischen Volksliedwerkes, Band 64, 2015, S. 256ff. | |
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