Claudia Behne Straßennamen und ihre Geschichte Vergleichende Studie auf der Basis der Straßennamenkorpora von Tangermünde, Stendal und Stadthagen ISBN: 978-3-8440-2423-4 Prijs: 49,80 € / 62,25 SFR |
|
Bei der hier zu besprechenden Arbeit handelt es sich um eine in Magdeburg einge¬reichte Dissertation. Sie greift einen Namentyp heraus, der in der Namenforschung bis in die jüngste Zeit eine eher untergeordnete Rolle spielt. Erst in den letzten 20 Jahren entstanden einige Untersuchungen auf diesem Gebiet. Zu nennen sind hier u. a. die von Dietz Bering, Hans-Dieter Dörfler, Ursula Föllner, Peter Glasner, Rita Heuser oder von Volker und Rosa Kohlheim, die sich sämtlich auch im Literatur- und Quellenverzeichnis von Claudia Behne finden. Straßennamen oder Hodonyme sind Träger des »kulturellen Gedächtnisses« (S. 1), »vermitteln […] Kenntnisse über die Geschichte der Stadt« (S. 1) und bilden ein »Repräsentationssystem« (S. 1). Ähnliche Aussagen finden sich bereits in den Arbeiten der eben genannten Autoren. Allerdings und das ist – zumindest nach Kenntnisstand der Rezentin – neu gab es bislang keine Untersuchung, die die Hodo¬nyme mehrerer Städte untersucht und miteinander vergleicht, um so herauszuarbeiten, »wie sich die einzelne Stadt über ihre Straßennamen darstellt und mit Hilfe welcher Be¬nennungsmuster und -strategien ein bestimmtes Selbstbild der Stadt entworfen wird« (S. 2). Eingeleitet wird die Untersuchung durch ein Kapitel »Theoretisch-methodische Grundlegung« (S. 6). Diese sind überwiegend onomastischer Natur und für den an der (historischen) Landesforschung Interessierten partiell weniger interessant oder zu fach¬lich. Dennoch sollen einige Punkte zur Orientierung hier knapp angesprochen werden. In einem ersten Unterkapitel werden Aussagen zur Theorie der (Eigen-)Namen vorwie¬gend unter pragmalingustischem Blickwinkel zusammengetragen. Bei den sich anschlie¬ßenden »Namenkundliche[n] Aspekten« (S. 19) ist für den Nichtonomasten vor allem die Unterscheidung zwischen Namengebung und Namengebrauch relevant; die weiteren Ausführungen zur Stellung der Straßennamen im Spannungsfeld Appellativ versus Name zeigen, dass die Verfasserin den Straßennamen eine relativ ausgeprägte Nähe zu den Appellativen zuweist. Anschließend stellt sie auf S. 25-29 verschiedene Einteilungen der unterschiedlichen Namen (wie Personennamen, Örtlichkeitsnamen, Ereignisnamen etc.) vor und resümiert: »Ein Charakteristikum von StrN ist, dass sie sich gegenwärtig in besonderem Maße geeignet zeigen, sämtliche der dargelegten Namenklassen in sich zu führen« (S. 29). Danach geht sie auf den Terminus »Straßenname« ein und versucht eine Definition, die nur bedingt »alltagstauglich« ist, aber allen Anforderungen gerecht zu werden versucht. Die folgenden Erläuterungen zu verschiedenen Grundwörtern wie -straße, -weg, -gasse oder -steig sind nach Auffassung der Rezensentin problema¬tisch, weil sie allgemein bleiben und sich nach Ausweis der bisherigen Forschung die Grundwörter regional unterschiedlich darstellen. Daran anschließend stellt sie knapp die »Geschichte« der Straßennamengebung von den mittelalterlichen Anfängen bis zur Gegenwart dar und legt den Fokus auf die administrative Namengebung, die eine »Funk-tionserweiterung« (S. 45) der Straßennamen zur Folge hatte, indem nicht mehr vor allem Besonderheiten der Straße, Lage, Baulichkeiten etc. bei der Benennung eine Rolle spiel¬ten – der Straßenname also einen lokalen Bezug hatte –, sondern die Benennung »der Vermittlung, bewussten Bewahrung und Erinnerung zeitgenössischer Ideen oder Ideolo¬gien« (S. 45) dient. Ein Forschungsüberblick rundet den allgemeineren Teil ab. Ihr danach vorgestellter Forschungsansatz (S. 66) ist interdisziplinär ausgerichtet und hat einen kulturtheoretischen bzw. mentalitätsgeschichtlichen Schwerpunkt. Die Wahl der Städte Tangermünde und Stendal begründet sie überzeugend damit, dass durch »gleiche politi¬sche Zugehörigkeiten, geschichtliche Zäsuren sowie gesellschaftliche Umbrüche« (S. 69) »Rückschlüsse auf gemeinsame Strömungen und Tendenzen […] sowie daraufhin lokale Eigenheiten« (S. 69) möglich würden. Das hier vor allem interessierende niedersächsische Stadthagen bildet eine »bewusste Kontrastsetzung« (S. 70), da es in einer anderen Region liegt, einem anderen Sprach- oder Dialektraum angehört (vgl. dazu S. 86-103, wo zu den sprachgeschichtlichen Einflüssen und innerstädtischem Schreibsprachenwandel Stellung genommen wird) und anderen kulturgeschichtlichen Einflüssen ausgesetzt ist, wodurch ein Vergleich möglich wird und auf diese Weise auch überregionale Entwicklungen oder Konstanten ermittelt werden können. Anhand der Quellen, über die S. 77-85 ein Über¬blick gegeben wird, zieht sie verschiedene (im weiteren Sinne) synchrone Schnitte, die sich vor allem zur Gegenwart hin verdichten. Einer Bestandsübersicht der Benennun¬gen der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts schließt sich eine der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts und dann des 18. Jahrhunderts an. Warum das 17. Jahrhundert nicht explizit berücksichtigt wird, bleibt unausgesprochen. Es folgen die Mitte bzw. die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts, der Bestand 1926, die Zeit zwischen 1933 und 1945, die Zeit von 1945-90, die »Nachwendezeit« in den 90er Jahren und der Bestand im Jahr 2011. Ein von ihr begründetes Kategorienraster erlaubt erstens die Auswertung der synchronen Schnitte, zum zweiten die Entwicklungslinien im historischen Verlauf herauszuarbeiten und drittens einen Vergleich der drei gewählten Städte angemessen vorzunehmen. Den Schwerpunkt der Untersuchung bilden die Ausführungen zu den drei Städten, die nacheinander behandelt werden. Dabei wird zunächst ein geschichtlicher Abriss ge¬boten, der die Entwicklung der Siedlung, politische Einflussnahmen und Aussagen zur Stadtentwicklung vom Beginn bis zur Gegenwart pointiert darstellt. Danach werden die Ergebnisse der Straßenbenennungen der jeweiligen synchronen Schnitte dargelegt, was zum Beispiel für Stadthagen bedeutet, dass – anders als noch 1985 von Friedrich Bar¬tels behauptet – in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts Straßennamen keineswegs unbekannt seien, sondern immerhin 18 Namen oder namenähnliche Bezeichnungen vorhanden sind (S. 361). Namenetymologien und Versuche der genauen Verortung in den Quellen auftauchender Namen oder Bezeichnungen nehmen einen breiten Raum ein und scheinen nachvollziehbar und begründet. Mit dem 19. Jahrhundert, der Zeit also, wo die »administrative« Straßennamengebung relevant wird, werden die Aussagen einerseits detaillierter, andererseits haben sie mehr zusammenfassenden Charakter. Für Stadthagen durchaus interessant ist z. B., dass im 19. Jahrhundert 23 % der Straßennamen »Zielpunkte« (S. 393) angeben, während es 1926 nur noch 16 %, 1957 10 % und 2011 schließlich nur noch 5 % sind. Tortengraphiken und andere Graphiken zeigen übersichtlich, wenn man sie vergleicht, die Veränderungen in der Zeit an. Die vergleichende Analyse führt zu äußerst interessanten Ergebnissen. So spielen in Stadthagen in der zweiten Hälfte des 16. Jh. Angaben zur Lage oder Beschaffenheit bei der Benennung einer Straße eine große Rolle – in Tangermünde und Stendal ist dieser Aspekt weitaus weniger wichtig –, Recht und Besitz der Stadt hingegen nahezu keine, während das in Tangermünde anders ist (vgl. die Graphik auf S. 449). Auch für die fol¬genden Zeitschnitte zeigt sich, dass in Stadthagen partiell andere Benennungsmotive wichtiger waren als in Stendal oder Tangermünde. Die in der Zusammenfassung präsen¬tierten Ergebnisse machen eindrucksvoll deutlich, dass eine solche präzise Untersuchung nicht nur von onomastischem Wert ist, sondern auch der Regional- und Lokalforschung wichtige Erkenntnisse bringen kann. So stellt sich Tangermünde vor allem als Residenz¬stadt, Stendal als Garnisonsstandort dar, während in Stadthagen »verschiedene Facetten der städtischen Vergangenheit« (S. 487) wichtig sind, die »durch Persönlichkeiten der Regional- und Ortsgeschichte […], von einem ausgeprägten bzw. intendierten Heimat¬bewusstsein zeugt« (S. 487). Insgesamt lässt sich die Untersuchung von Claudia Behne als gelungener Versuch betrachten, der zeigt, dass mittels der Onomastik wertvolle historische Erkenntnisse zu gewinnen sind. Gleichzeitig macht sie deutlich, dass nur eine breite Quellenkunde und -auswertung sowie lokalgeschichtliches Wissen solch detaillierte Aussagen ermöglichen. Ausgehend von ihren Befunden könnten die Untersuchungen weiterer Städte allmäh¬lich ein dichteres Netz knüpfen und so kultur- und mentalitätsgeschichtliche Einzelhei¬ten beleuchten. Kirstin Casemir, Göttingen / Münster |
|
Bron: NIEDERSÄCHSISCHES JAHRBUCH FÜR LANDESGESCHICHTE, Band 87/ 2015, Seite 134 | |
verder naar publicatie ... |