Kendra Stepputat (Ed.) Performing Arts in Postmodern Bali Changing Interpretations, Founding Traditions Volume 24 ISBN: 978-3-8440-2010-6 Prijs: 49,80 € / 62,25 SFR |
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Spätestens seit der Erscheinung von “The Invention of Tradition” von Eric Hobsbawn und Terence Ranger in 1992 gab es ein nachhaltiges Erwachen. Es war deutlich geworden, dass das, was scheinbar Traditionen ausmachte, Ergebnis vieler Verhandlungen ist und damit ununterbrochenen Wandlungsprozessen unterliegt. Dies trifft auch auf die Traditionen der Insel Bali zu, auch wenn diese Erkenntnisse bis heute von der Tourismusindustrie und den Medien vielfach negiert werden. Beinahe einstimmig, einem Mantra gleich, wird das Image der “Götterinsel” wiederholt, und dass auf Bali alles gemeinschaftlich entstehen und vergehen würde (354). Auch vertieften bisherige bekannte Überblickspublikationen über die darstellenden Künste Balis eher das spektakulär harmonische Bild balinesischen Handelns im Spannungsverhältnis zwischen Göttern und Dämonen als dass sie dieses kritisch hinterfragten (vgl. B. de Zoete and W. Spies, Dance and Drama in Bali. Kuala Lumpur 1973 [1938]; I. M. Bandem and F. E. DeBoer, Kaja and Kelod. Balinese Dance in Transition. Kuala Lumpur 1981; I. W. Dibia and R. Ballinger, Balinese Dance, Drama, and Music. A Guide to the Performing Arts of Bali. Singapore 2004). Dass dem jedoch nicht so ist, davon überzeugt die Lektüre des vorliegenden Buches, welches unter dem Stichwort “Ethnomusikologie” publiziert wurde. Anhand von Biografien, unterschiedlichen Genre, Werken einzelner Musikerpersönlichkeiten und Darstellungen historisch-politischer Zusammenhänge mit vielen unterschiedlichen lokalen und globalen Einflüssen, individuellen Interessen und Entscheidungsprozessen wird dargelegt, wie nicht nur die Musikgeschichte Balis gestaltet wurde und weiter wirkt. Das Buch, Ergebnis eines Panels auf der 41sten ICTM (International Council for Traditional Music – www. ictmusic. org) Konferenz in St. John’s auf Neufundland (Kanada) in 2011, unterteilt sich in 13 Kapitel von 12 internationalen Musikwissenschaftlern und Musikwissenschaftlerinnen mit Bibliografien zu jedem Artikel und einer Kurzbiografie der Autorinnen im Anhang. “Postmodern Bali” im Buchtitel weist auf die Lesart der Künste durch die Autoren und Autorinnen. Wie Kendra Stepputat in ihrer Einleitung erläutert, geht es jedoch nicht um postmoderne philosophische Theorien, sondern Ziel des Buchs ist es, Konzepte und Bedingungen postmodernen Denken und Handelns (alles das, was nach der Moderne kommt) und seine Folgen für balinesisches Kunstschaffen darzustellen (5). Laut Stepputat kann ein Künstler resp. eine Künstlerin die Gestaltungsperspektive selbst wählen: vormodern, modern, traditionell, postmodern – wobei es sich dabei nicht um jeweilige konzeptionelle Einbahnstraßen handelt. So können z. B. auch mit postmodernen Techniken traditionelle Themen bearbeitet werden. Und genau dieser Mix macht die Qualität der Postmoderne aus (6). Versuche, präzise zu definieren und dabei vor allem die Sichtweise des jeweiligen Künstlers oder der Künstlerin wiederzugeben, ziehen sich durch alle Kapitel. Laut Stepputat stellt das traditionelle balinesische Konzept von desa kala patra (Ort, Zeit, Situation/ Bedingung) für viele Künstler und Künstlerinnen die Grundlage ihres Schaffens dar. Diese ermöglicht es ihnen, sich frei den jeweiligen Orten und (globalen) Zeitkontexten flexibel anzupassen. Sich weiter zu entwickeln, ohne dabei starren Regeln verpflichtet zu sein – sich dennoch an Überlieferungen orientierend, diese zu dekonstruieren und neu zu interpretieren, um daraus “klassische” postmoderne hybride und vieldeutige Werke nicht nur für Bali (unabhängig von Ort/Zeit/Ritual) zu schaffen. Obgleich die Kapitel keiner weiteren Unterteilung folgen, lassen sich folgende Herangehensweisen gruppieren: Es werden drei international bekannte und einflussreiche balinesische Künstler mit ihren herausragenden Werken, den dazugehörenden Konzepten, individuellen Ideen und auch politischen Haltungen vorgestellt: Der Schattenspieler I Made Sidia von Kendra Stepputat, der Musiker Pande Made Sukerta von Christopher J. Miller und der Komponist I Wayan Sadra von Andy McGraw. Weiterhin werden die Entwicklungsgeschichten von drei Genres in Hinblick auf altere Formen und ihre Veränderungen bzw. Neuschöpfungen nachgezeichnet (das Tanz- und Musikdrama arja von Mashino Ako und Made Mantle Hood, das Schattenspiel wayang kulit von Lisa Gold und der Maskentanz topeng von I Wayan Dibia). I Wayan Sudirana unterscheidet zwischen “neo-traditional” (kreasi baru) und musik kontemporer und stellt Entwicklungsgeschichte und Quellen (post)moderner Kompositionen dar, was aufgrund des auf Bali traditionell nicht vorhandenen Copyrights ein spannender Aspekt ist (167). Sonja Downing behandelt Formen der Diskriminierung von Balinesinnen, die nicht nur gamelan spielen, sondern auch Musik komponieren wollen. Während in Tanzdramen wie in arja beide Geschlechter alle Rollen übernehmen dürfen, wird bis in die Postmoderne die Ausübung balinesischer Musiktheorie und -praxis dem männlichen Geschlecht zugewiesen und als den weiblichen Musikerinnen/Komponistinnen überlegen anerkannt. Während sich die vorherigen Kapitel vor allem mit dem Spannungsverhältnis von Geschichte, Politik, Tradition, Moderne und Postmoderne auseinandersetzen, widmen sich David Harnish und Sarah Weiss einer privaten Künstlervereinigung der “Sanggar Cudamani”, die u. a. durch ein Stuck bekannt wurde, in welchem der Ablauf eines Tempelfestes (odalan) und das harmonische traditionelle balinesische Zusammenleben und -wirken auf der Buhne inszeniert wird. Im Text werden die unterschiedlichen Beurteilungen dieser nicht unumstrittenen Aufführung dargestellt und die Haltung der Gruppe dazu ausgeführt. (Eine traditionelle Regel lautet, dass rituelle Handlungen an Ritualzeiten und -orte gebunden sein sollten. Jedoch wurde diese bereits Anfang der 1990er zum Anlasse des jährlich stattfindenden “Bali Arts Festival” (*1965) in Denpasar mit der Aufführung einer künstlerischen Neuinterpretation des Tempeltanzes rejang aufgeweicht. Obgleich der Tanz noch den gleichen Namen des Tempeltanzes rejang trug, kamen die Bewegungen der Mädchen aus dem Repertoire des legong-Tanzes, einem klassischen balinesischen profanen Unterhaltungstanz.) Im letzten Kapitel behandelt Michael Bakan die Musik des kecak (auch bekannt unter Affentanz), die – durch die Methode des “postmodern process of scizophonic mimesis” (378) –, von jeglichem Erkennungsmerkmal balinesischer Herkunft befreit, in den Filmen von Pier Paolo Pasolini (Edipo Re – Bett der Gewalt; 1967) und Federico Fellini (Satyricon; 1969), die aus westlicher Perspektive zu imaginierenden Atmosphäre des Unbekannten und Unheimlichen, die im Film auf diese Weise geschaffene mythische Welt des (post)modernen Bildes von der Antike, erfüllen soll (382). Ein Index am Ende des Buchs wurde den LeserInnen eine Vernetzung der einzelnen Kapitel zum Thema Postmoderne und der Geschichte der darstellenden Künste Balis mit ihren vielen politischen Bezügen zur Geschichte der indonesischen Nation besser verdeutlichen. Dazu wurde auch eine tabellarische Zeittabelle mit politischen Ereignissen gehören, zusammen mit einer grafischen Darstellung einer Weltkarte zum besseren Erkennen der verschiedenen lokalen, nationalen und globalen Netzwerke von Personen, Kunstakademien und Festivals. Gleichfalls wäre eine gemeinsame Bibliografie aller Artikel sinnvoll gewesen. Diese geringfügigen Einschränkungen sollen jedoch nicht davon ablenken, dass es ein sehr informatives und gut lesbares Werk ist, mit vielen, auch unerwarteten Einblicken in das künstlerische Handeln und Gestalten auf Bali, den wechselseitigen Einflüssen (global, national, lokal) und einer Verwertung anonymisierter balinesischer Musik für westliche Imaginationen als Möglichkeit postmoderner Techniken und Konzepte. Anette Rein |
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Bron: Anthropos 110.2015 | |
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