Peter M. Quadflieg, René Rohrkamp (Hg.) Das "Massaker von Malmedy": Täter, Opfer, Forschungsperspektiven Ein Werkbuch mit Beiträgen von Tobias Albrecht, Mats Autzen, Anna Hissel und Katharina Hoppe Volume 6 ISBN: 978-3-8322-9241-6 Prijs: 19,80 € / 39,60 SFR |
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Sechs Autoren, zwei junge Wissenschaftler und vier akademische Nachwuchskräfte der RWTH Aachen, haben es sich im Rahmen des Undergraduate Research Opportunities Program (UROP) zum Ziel gesetzt, originäre Forschungsleistungen zu erbringen. Ihr Thema: "Das Massaker von Malmedy". Der Hintergrund: "Die Armee einer Demokratie und die Streitmacht einer totalitären Diktatur, die eine auf einem Kreuzzug zur Befreiung des Kontinents, die andere verstrickt in einen rassistisch motivierten Vernichtungskrieg, der sich zum Existenzkampf eines Regimes gewandelt hat". Der Schwerpunkt: Jene Menschen, "die von ihren Lebensläufen an einem Tag an einem Ort in den Uniformen verfeindeter Nationen gegenübergestellt und als Täter und Opfer durch ein furchtbares Verbrechen miteinander verbunden" werden. Das Kriegsverbrechen von Malmedy ist durch eine Vielzahl von Publikationen bereits umfassend dargestellt worden. Dennoch gelingt es den jungen Historikern, dieses Massaker aus einer innovativen Perpektive zu beleuchten und zu deuten. Die Herausgeber, Peter M. Quadflieg und René Rohrkamp(f), zeichnen den großen Rahmen mit Aufsätzen zur Ardennenoffensive, der Waffen-SS im letzten Kriegsjahr und einer Chronologie der Erschießungen von Baugnez (der eigentliche Ort des Geschehens, ein ehemals kleiner Weiler vor Malmedy) nach. Katharina Hoppe und Tobias Albrecht beleuchten die gruppendynamische Perspektive dieser Ereignisse. Hoppe untersucht die Gruppe der Opfer, die US-Soldaten, und zieht dabei erstmals personenbezogene Unterlagen aus den National Archives der USA heran, die die Grundlage für eine Untersuchung des Sozialprofils der Ermordeten bilden. Sie stellt fest, dass die Gruppe recht homogen war und durch das unerwartete Aufeinandertreffen bei Baugnez gruppenintern "die Strukturen aufgebrochen" wurden. Dadurch habe die Gefahr bestanden, "dass es zu affektiv geprägtem Verhalten kommt, dass Panik ausbricht und die Gruppenmitglieder nicht mehr befehls- oder normkonform handeln", was die Eskalation nicht entschuldigen, aber mitbegründen könne. Ein Sozialprofil für die Mannschaftssoldaten der Kampfgruppe "Peiper" zeichnet Tobias Albrecht, der in einem weiteren Schritt anhand von ausgewählten Beispielen in einer Längsschnittanalyse die Biografie eines beteiligten SS-Führers und eines SS-Mannschaftssoldaten untersucht. Er kommt zu dem Schluss, dass das "SS-Führungspersonal nach nationalsozialistischer Indoktrination und Kampferfahrung vergleichsweise homogen" gewesen sei. René Rohrkamp beschreibt in seinem Artikel den Weg zu jener SS-Homogenität, die vor allem durch eine Entgrenzung der Gewalt gekennzeichnet war und auch in Baugnez zum Tragen kommen sollte: "Der Referenzrahmen versetzte die Handelnden mittels des sozialen Umfeldes, das diesen bejahte, in die Lage, das Verbrecherische ihrer Handlungen in die eigene, ideologisch deformierte moralische Welt zu integrieren und dadurch auch den grausamsten Taten Sinnhaftigkeit zu verleihen. Dies diene als Erklärung, nicht als Exkulpation." Dieser Brutalisierungsprozess, so schlussfolgert Albrecht, konnte auf die "jungen Mannschaften und Unterführer" nicht ohne Folgen bleiben. Sie waren "relativ kampfunerfahren, aber größtenteils durch das NS-Schul- und Erziehungssystem geprägt", so dass sie vergleichsweise offen für ein hemmungsloses Vorghen waren. Anna Hissel ordnet das Massaker anhand eines Vergleichs mit zwei weiteren Kriegsverbrechen der Waffen-SS an der Westfront in das komplexe Themenfeld des Kriegsvölkerrechts ein. Durch ihre Beurteilungsmatrix setzt sie den völkerrechtlichen Rahmen für die übrigen Beiträge und kommt zu dem Schluss, dass das "Verbrechen alle Charakteristiken der deutschen Kriegsführung, inbesondere der Vorgehensweise der SS-Einheiten, im fünften Kriegsjahr aufweist." Mats Autzen beschließt den Sammelband mit einer Betrachtung der Nachkriegswirkung des "Malmedy-Massakers" auf die deutsche und US-amerikanische Innen- und Besatzungspolitik und verortet diese Nachwirkungen auch in der unterschiedlichen Erinnerungskultur in den beiden Ländern, wobei das sehr hohe Institutionalisierungsniveau in der US-amerikanischn Erinnerungskultur den europäischen Leser etwas verwundern mag. Der gruppendynamische Ansatz als Fragestellung führt dazu, dass durch diesen Band in der Betrachtung von Kriegsverbrechen ein wissenschaftlicher Mehrwert entstanden ist. Die Autoren brechen nicht nur das häufge "Schwarz oder Weiß" in bisherigen Arbeiten auf, sondern bringen durch "situative und individuelle Element, die Einfluss auf die Vertiefung ideologischer Inhalte nahmen" auch neue Bestandteile in die historische Analyse ein. Diese zeichnet sich durch hohe Wissenschaftlichkeit, eine einfühlsame Differenzierung und die Heranziehung neuer Quellenbestände aus. Die Publikation ist somit nicht nur ein gelungenes Übungsstück einiger junger Historiker, sondern auch eine fundierte Vertiefung eines in der Literatur bereits stark abgehandelten Themas. Carlo Lejeune, Büllingen/Belgien | |
Bron: Rheinische Vierteljahrsblätter , Jg. 76.2012, Seite 463-464 | |
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