Hans-Ingo Radatz Das Mallorquinische: Gesprochenes Katalanisch auf Mallorca Deskriptive, typologische und soziolinguistische Aspekte Volume 8 ISBN: 978-3-8322-8870-9 Prijs: 29,00 € / 58,00 SFR |
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Mallorca zieht seit Jahrzehnten viele deutsche Urlauber an - die dort gesprochene Varietät des Katalanischen, das Mallorquinische wird von ihnen im besten Fall jedoch als ein "zu vernachlässigender Folkloreartikel", "die Normalisierung der Landessprache wie ein Schildbürgerstreich und das Ansinnen, diese selbst zu lernen, als hochgradige Zumutung" empfunden [294]. Nun stehen diese traurigen Tatsachen nicht im Zentrum des Interesses von Hans-Ingo Radatz´ 2010 veröffentlichter Habilitationsschrift, sondern sind vielmehr eine anekdotische Randbemerkung und sein Ziel ist es auch nicht, gegen diese Ignoranz anzuschreiben. Mit überkommenen Meinungen im wissenschaftlichen Sinn räumt er jedoch durchaus auf. Zum einen wurde dem Mallorquinischen bislang im Vergleich zu den einflussreicheren Varietäten Valencias und Barcelonas eher wenig Beachtung geschenkt, eine Überblicksdarstellung steht aus. Zum anderen wurde es häufig auch nicht als eigenständig, sondern vielmehr als Dialekt des Ostkatalanischen wahrgenommen. Dies wiederum steht im Widerspruch zur Wahrnehmung der Sprecher, die sich mit anderen katalanischen Varietäten und insbesondere mit der katalanischen Standardsprache nicht identifizieren können. Radatz´ Ziel ist es also, einen Überblick über die historischen, soziolinguistischen und sprachlichen Besonderheiten des Mallorquinischen zu geben und diese vor dem Hintergrund bisheriger Forschung kritisch zu diskutieren. Essentiell ist für ihn in diesem Zusammenhang der Vergleich sowohl mit anderen westeuropäischen Regionalsprachen, als auch mit anderen Varietäten des Katalanischen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der "kontrastiv zum Standardkatalanischen angelegten dialektalogischen Beschreibung des Mallorquinischen" [13f.] und innerhalb dieses Bereichs wiederum auf den Phänomenen, die das Mallorquinische vom Festlandkatalanischen unterscheiden. Die Arbeit kann grob in zwei Teile geteilt werden: in einem ersten, die Kapitel 1-6 umfassenden Teil werden methodische und terminologische Fragen angesprochen sowie insbesondere ein Überblick über die aktuelle Situation, externe Sprachgeschichte, soziolinguistische Situation, Schrifttraditionen und sozioökonomische Entwicklung gegebeh, wobei diese Aspekte immer eng mit der Darstellung sprachlicher Fakten sowie des Sprecherbewusstseins verknüpft sind. Im zweiten Teil (Kapitel 7) stellt der Autor sodann eine ausführliche Analyse von für das Mallorquinische charakteristischen sprachlichen Merkmalen dar. Radatz beginnt mit einem knappen Überblick [Kapitel 1, 15-31] zum Katalanischen Mallorquinischen, in dem er auf die bereits traditionelle Charakterisierung des Katalanischen als Brückensprache zwischen Gallo- und Iberoromania, auf Sprachgebiet und Verbreitung der verschiedenen katalanischen Varietäten und auf die Geschichte Kataloniens, der Comunitat Valenciana und der Balearen eingeht. Dabei lenkt er das Augenmerk verschiedentlich auf die Tatsache, dass das Katalanische Mallorcas noch viele galloromanische Elemente enthält und somit, traditioneller´ ist. Während herkömmlich von einer Einteilung der katalanischen Dialekte in Ost- und Westkatalanisch vorgenommen wird, weist Radatz bereits an dieser Stelle darauf hin, dass die Verständigung zwischen Festland und Inselkatalanisch weit schwerer sei, als die zwischen West- und Ostkatalanisch; er sieht das Mallorquinische denn auch als den "iberoromanischen Regiolekt [ .. . ] der sich sprachlich am stärksten vom Kastilischen entfernt" [28]. Das zweite, auf ein gemeinsam mit Benno Berschin durchgefiihrtes Projekt zurückgehende und auch mit diesem als Ko-Autor verfasste, Kapitel [33-55]stellt unter dem Titel "Die westeuropäischen Regionalsprachen im Vergleich" im wesentlichen die auch für den Fortgang der Arbeit relevanten theoretischen und methodischen Grundlagen dieses Projekts vor. Im Rahmen des Heidelberger Graduiertenkollegs "Dynamik von Substandardvarietäten" fand 2002 eine Tagung zum Thema statt, deren Ziel es war, verschiedene westeuropäische Regionalsprachen hinsichtlich ihres synchronen Status und ihrer geschichtlichen Entwicklung zu beleuchten. Die zu Grunde gelegten theoretischen Konzepte sind dabei durchaus ,alte Bekannte´ im Rahmen solcher Untersuchungen- ein modifizierter Fishman´scher Diglossiebegriff und das Konzept der Ausbau- und Abstandsprachen von Kloss - der konsequente Vergleich verschiedener regionalsprachlicher Situationen hinsichtlich davon abgeleiteter Parameter und deren Quantifizierung ist aber durchaus als innovativ zu betrachten. Die vorgestellten Parameter werden in den folgenden Kapiteln 3 und 4 spezifischer auf das Mallorquinische bezogen wieder aufgegriffen. Das mit "Mallorca: Externe Sprachgeschichte im Vergleich" überschriebene dritte Kapitel [57-79] widmet sich dabei der externen Sprachgeschichte und zeichnet die - sowohl auf das Festland- als auch auf das Inselkatalanische bezogen- ,untypische´ Geschichte der Regionalsprache Katalanisch nach: Entgegen anderen Sprachen war das Katalanische bekanntlich lange Zeit noch nicht einer anderen Sprache ,untergeordnet´, vielmehr war sie eine von mehreren benachbarten Kultursprachen. Aus dem Distanzbereich wird das Katalanische auf Mallorca erst im 18. Jahrhundert zunehmend verdrängt, was auch im "Verlust des Bewusstseins von der sprachlichen Zusammengehörigkeit mit dem katalanischen Sprachgebiet des Festlands und damit einhergehend de[m] Verlust der alten supradialektalen Schriftsprache" [77] Niederschlag findet. Nach Phasen erneuten Aufschwungs Ende des 19. Jahrhunderts sowie der Repression unter Franeo ist das Katalanische allgemein gegenwärtig verglichen mit anderen westeuropäischen Regionalsprachen wiederum eine untypische Regionalsprache, die die anderen hinsichtlich ihres ,Erfolgs´ überholt. Im vierten Kapitel, "Mallorca: Soziolinguistische Situation im Vergleich" [81-93], untersucht Radatz die soziolinguistische und sprachpolitische Gesamtsituation des Mallorquinischen, wobei er Wert darauf legt, dass eine solche Analyse "nicht in der isolierten Auflistung von Informationen bestehen kann, sondern dass die Relevanz der einzelnen Beobachtungen erst im Vergleich mit ähnlichen Regionalsprachen abschätzbar wird" [81]. Die diesem Prinzip folgende Untersuchung von acht Teilbereichen - Grad des Ausbaus I der Normierung, Status im Erziehungssystem, gesetzlicher Status, Anteil der Regionalsprecher, Regenerationsrate, Medienpräsenz, Alltagspräsenz (gesprochen) und gesellschaftliches Sprachbewusstsein - zeigt, dass das Katalanische auf den Balearen sowohl hinsichtlich des von Radatz als ,Sprachkoordinate´ (~ Ausbau) bezeichneten Teilbereichs, als auch hinsichtlich der ,Sprecherkoordinate´ (~ Prestige) im Vergleich mit anderen Regionalsprachen sehr gute Werte erzielt, die sich Werten annähern, die etablierte Nationalsprachen erreichen würden. Die Vergleichsdaten zu festlandkatalanischen Varietäten, dem Galicischen oder Baskischen - darauf weist Radatz auch selbst hin - fehlen hier leider, was der Anlage des in Kapitel 2 vorgestellten Gemeinschaftsprojekts geschuldet ist. Kapitel 5 mit dem Titel "Eine kurze Geschichte des Schreibens auf Mallorca: zwischen pankatalanischer Norm und Dialektskripta" [95-113] beschäftigt sich mit der Frage, "welche Varietäten auf Mallorca im Laufe der Geschichte im schriftlichen Bereich" [95] seit dem 13. Jahrhundert verwendet wurden. Diese Frage ist im Kontext der vorliegenden Untersuchung insofern interessant, als sie Aufschluss über das Verhältnis der Sprecher zu einem überregionalen Standard des Katalanischen gibt. Radatz zeigt hier, dass zumindest bis gegen Ende des 16. Jahrhunderts eine supraregional einheitliche Skripta verwendet wurde. Dialektale Merkmale halten erst gegen Ende des 16. Jahrhunderts vermehrt Einzug in die Schriftlichkeit, was Radatz mit Lüdtke (1991 , 236) als Reflex der Auflösung eines einheitlichen Sprachbewusstsein interpretiert. Erst die Einführung des Kastilischen als (zweite) Amtssprache nach dem Ende der Habsburgerzeit 1715 führte dazu, dass die katalanische Schreibtradition vorübergehend in Vergessenheit geriet. Von einer mallorquinischen Skripta kann vorwiegend im 19. Jahrhundert gesprochen werden, das von einer Neutindung regionaler Schreibtraditionen geprägt ist. Gegenwärtig ist das Mallorquinische - und nicht das Standardkatalanische, mit dem sich die Mallorquiner kaum identifizieren - überwiegend im Medium der Mündlichkeit vertreten, geschrieben wird überwiegend auf Kastilisch. Unter dem Titel "Sprache und sozioökonomischer Kontext: vom prätouristischen zum modernen Mallorca" [115-133] untersucht das 6. Kapitel den radikalen Wandel der mallorquinischen Gesellschaft im 20. Jahrhundert und die damit verbundenen Konsequenzen für den Dialektabbau. Mit Wheeler (1993) bezeichnet Radatz die "prätouristische" mallorquinische Gesellschaft als "geschlossene Gesellschaft. Der Abgeschiedenheit Mallorcas ist es geschuldet, dass noch bis weit ins 19. Jahrhunde11 das Kastilische auch als in der Schule erlernte Fremdsprache kaum verbreitet war. Im 20. Jahrhundert, maßgeblich beeinflusst durch die Entwicklung des Tourismus, hat diese sich jedoch in kurzer Zeit radikal geöffnet, was erwarten lässt, dass die von Wheeler für geschlossene Gesellschaften postulierten sprachlichen Merkmale massiv abgebaut werden. Dies zeigt sich laut Radatz jedoch weniger deutlich als erwartet. Das folgende siebte Kapitel "Die sprachlichen Fakten: Dialektalogische Beschreibung und Einordnung" [135-264] ist das quantitativ umfangreichste und stellt gemäß der Zielsetzung der Studie auch inhaltlich den Schwerpunkt dar. Radatz geht zunächst auf die bereits eingangs erwähnte traditionelle Einteilung der katalanischen Dialekte ein, die nur eine Unterscheidung ost- und westkatalanischer Dialekte vorsieht. Die balearischen Varietäten werden dabei zwar als besonders eigenständig gesehen, letztlich in der Regel aber doch dem Ostkatalanischen zugeordnet. Annand der eingehenden Analyse typisch mallorquinischer Dialektmerkmale aus den Bereichen Phonetik I Phonologie, Morphologie, Syntax und Lexik diskutiert Radatz diese Zuordnung kritisch und stellt fest, dass das Mallorquinische nur in 6 von 11 untersuchten Kriterien "eine eindeutige Zugehörigkeit zum Ostkatalanischen" [261] zeigt. Bezüglich der anderen Kriterien stellt er einerseits Parallelen zum Valencianischen fest- beide Varietäten haben im Kern den mittelalterlichen Zustand bewahrt - andererseits geht das Mallorquinische ganz eigene Wege. Radatz betont also die Eigenständigkeit des Mallorquinischen und widerspricht somit der traditionellen Zweiteilung des katalanischen Sprachgebiets. Auch den konservativen Charakter des Mallorquinischen relativiert er: neben einer großen Zahl von Konservatismen stellten einige Dialektmerkmale durchaus auch Innovationen dar, die Bezeichnung einer ganzen Varietät als konservativ greift aus diesem Grund zu kurz. Ausgehend von der Beschreibung des aktuellen Sprachzustands nimmt er für die zukünftige Entwicklung den "Abbau des galloromanischen Elements bei gleichzeitiger Konvergenz mit Zentralkatalanischen und Kastilischen" [262] an. Nachdem der Fokus bislang auf dem Katalanischen lag, schließt der Autor im "Epilog: Spanisch im Munde von Mallorquinern - Interferenzen und humoristische Selbststilisierung" überschriebenen letzten Kapitel den Bogen und beschreibt die Besonderheiten des Kastilischen auf Mallorca, zuweilen auch castellorquin genannt. Im Vergleich zum Festland kommt dem Kastilischen auf Mallorca nach wie vor eine geringere Bedeutung zu, was sich beispielsweise darin äußert, dass gerade in ländlicheren Gegenden nach wie vor monolinguale Katalanischsprecher anzutreffen sind, die nur rudimentäre Kenntnisse des Kastilischen vorweisen können. Radatz beschreibt hier die phonetisch I phonologischen, syntaktischen und lexikalischen Besonderheiten des katalanischen I mallorquinischen Akzents im Spanischen, wobei sich viele Überschneidungen mit dem allgemeinen katalanischen Akzent ergeben. Der besondere Wert des Buches liegt neben dem interessanten Uberblick meines Erachtens in der konsequenten Verknüpfung interner Sprachbeschreibung mit den sozia-historischen Gegebenheiten sowie im stets präsenten Vergleich sowohl mit anderen Regionalsprachen, als auch mit anderen Varietäten des Katalanischen. Vielleicht nicht gerade eine Strandlektüre am Balneario 6, für alle anderen aber empfehlenswert. |
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Bron: Zeitschrift für Romanische Sprachen und ihre Didaktik, Heft 6,2 Herbst 2012 S. 187 | |
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