Philipp Schwartz Das Lettländische Zivilgesetzbuch vom 28. Januar 1937 und seine Entstehungsgeschichte ISBN: 978-3-8322-7758-1 Prijs: 49,80 € / 99,60 SFR |
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In Lettland als Teil der ehemaligen russischen Ostseeprovinzen galten neben dessen Recht, besonders dem „Liv-, Est- und Curländischen Privatrecht" Bunges von 1864, die schon allein quantitativ wichtigen „Bauernordnungen", wobei gerade diese „eine Autonomie gegenüber dem Recht der jeweils herrschenden Macht", zuletzt Russland, ermöglicht hatten. Es ist interessant zu lesen, dass gerade zufolge dieser Autonomie „die Staatswerdung der Republik Lettland überhaupt möglich war" (31). Unter anderem aus diesem Grund verwarf man die Idee einer „Rezeption", vor allem des ZGB, zeigte sich aber für Einflüsse aus „insbesondere Deutschland und der Schweiz" offen (36). Gegen eine „Revision" von Bunges Gesetzbuch sprach interessanterweise auch der Umstand, dass von diesem eine offizielle lettische Übersetzung nicht vorlag, ferner inhaltliche Gründe (36). Und „so beschritt man letztlich diesen Weg der Reform" mit einer eigenen Kodifikation (38). Schwartz beschreibt die Gesetzgebungsgeschichte von den ersten Anfängen 1918 über wechselnde politische Ereignisse wie den Staatsstreich von Ministerpräsident Ulmanis 1934 (Staatspräsident ab 1936) bis hin zum Inkrafttreten des Zivilgesetzbuchs zum Jahresbeginn 1938. Das autoritäre Regime von Ulmanis begünstigte die Schaffung der Rechtseinheit durch das Zivilgesetzbuch 1937, halboffiziell wurde es auch „Präsident Ulmanis Zivilgesetzbuch" genannt (129). Interessant ist übrigens, dass das Geteilte Eigentum erst im Dezember 1938 abgeschafft wurde. Ein umfangreiches Kapitel (149-229) erläutert „Tragende Grundsätze und Inhalt", gefolgt von einem Kapitel „Beurteilung des Lettländischen Zivilgesetzbuches von 1937 in rechtsdogmatischer und rechtspolitischer Hinsicht" (231-264). Aus der detaillierten und ausgewogenen Darstellung ergibt sich ein interessantes Ergebnis, das Schwartz in der Bezeichnung widergespiegelt sieht: Entstanden sei ein staatlich- „lettländisches" und nicht ein ethnisch- „lettisches" Gesetzbuch, denn nationale Besonderheiten spielten kaum eine Rolle, auch gebe es zu Bunges Gesetzbuch eine „innere Kontinuität" (265f).Alles in allem eine gelungene und wertvolle Arbeit, nicht zuletzt zufolge der breiten quellenmäßigen Grundlage und der Einbeziehung von Sekundärliteratur. Wilhelm Brauneder, Wien |
Die titelgebende Zivilrechtskodifikation durchlief eine besondere Entwicklung: 1937 in Kraft gesetzt, zufolge der sowjetischen Okkupation 1940 aufgehoben, abermals in Kraft während der deutschen Besetzung 1941 bis 1945, ab 1992 mit Änderungen schrittweise wieder eingeführt. Die zeitgenössische Literatur hält sich damit begreiflicherweise in engen Grenzen, immerhin existiert sogar ein deutschsprachiger Kommentar zum Gesetzbuch aus den Jahren 1938 und 1940 (3). Insgesamt aber schließt die Greifswalder Dissertation in schöner Weise eine Lücke und trägt damit zu vielerlei Aspekten bei: Begründung einer Zivilrechtsordnung für einen neuen, in seinen Grenzen zum Teil unhistorischen Staat; im Zusammenhang damit Rechtsvereinheitlichung bislang unterschiedlicher Rechtsgebiete (zu beiden Aspekten informative Karte: 28); Gesetzgebungsgeschichte mit den auch von anderen Ländern bekannten Aspekten wie etwa Kompilation oder Kodifikation, zum Inhalt Rezeption, Revision oder Reform (34-46), „äußere und innere Kontinuität" (47-50) und der spezifische Aspekt einer Rechtsangleichung der baltischen Staaten (51-53). Schließlich entschied man sich für „ein neues und eigenständiges Zivilgesetzbuch für ganz Lettland", also für „Reform" (39). |
Bron: ZNR Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte, 34. Jahrgang 2012 Nr.1/2, Seite 170 f | |
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Philipp Schwartz Das Lettländische Zivilgesetzbuch vom 28. Januar 1937 und seine Entstehungsgeschichte ISBN: 978-3-8322-7758-1 Prijs: 49,80 € / 99,60 SFR |
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Mit seinem Werk erschließt Schwartz erstmals Motive, Konzeptionen und Inhalte des Zivilgesetzbuches von 1937 für Lettland anhand insbesondere des umfangreichen lettischen Schrifttums zu dieser Kodifikation und zu deren Vorgeschichte. Die Gesetzgebeungs- bzw. die Sitzungsprotokolle vor allem der maßgebenden Gesetzkommission 1933-1936 waren leider nicht mehr auffindbar. Eine deutsche Übersetzung der litauischen Originalfassung des ZGB erschien 1937 als „Ausgabe des lettischen Justiz-ministeriums". Schwartz behandelt zunächst die Rechtsentwicklung in den russischen Ostseeprovinzen Estland, Livland und Kurland bis zur Gründung des unabhängigen lettischen Staates am 18.11.1918 (S. 9ff.). In diesen Provinzen galt seit 1864 das Provinzialrecht der Ostseegouvernements (Teil III: Liv-, Est- und Curländisches Privat-recht [BPR III; seit 1919 auch Lei]), das eine Sammlung und Systematisierung des bestehenden Rechts in 4600 Bestimmungen enthielt und sich zu über die Hälfte auf das römische Recht stützte. Zu Lettland kam 1918 das Kurland, das südliche Livland und Lettgallen [Dünaburg], in dem hinsichtlich des Zivilrechts der von Schwartz nicht detailliert besprochene Svod (russisches Zivilgesetz X von 1834) galt. Das Kapitel 2 des Werkes umfasst in vier Abschnitten die Entstehung der letti-schen Zivilgesetzgebung. Teil 1 behandelt die Diskussion über den richtigen Weg der lettischen Gesetzgebung (Rezeption ausländischer Kodifikationen, Revision des BPR III oder Erarbeitung einer eigenständigen neuen Kodifikation). In den Kapiteln 2 und 3 (S. 54ff.. 67ff.) geht der Verfasser auf die Arbeiten der ersten beiden Gesetz-gebungskommissionen (1920, 1924) und auf die umfangreiche, zum Teil rechtsvereinheitlichende und reformierende Einzelgesetzgebung bis 1934 ein. Wichtig war ins-besondere das Ehegesetz von 1921, das die fakultative Zivilehe mit ausschließlicher Zuständigkeit der weltlichen Gerichte in Ehesachen einführte und die Konventionalscheidung zuließ (S. 73f.). Regelungsmaterien weiterer Gesetze waren das Miet-, Un-ehelichen- und Yormundschaftsrecht sowie das Luftverkehrs- und Kraftfahrzeugrecht. Hingewiesen sei noch auf die Agrarreformgesetze von 1919, 1927 und 1928, die eine entschädigungslose Enteignung der zumeist deutschbaltischen Großgrundbesitzer bis auf ein Restgut von 50 ha mit Ausnahme der Stadtgüter vorsah (S. 54f.). Ferner liegen aus der genannten Zeit mehrere Teilentwürfe zur geplanten Kodifikation vor, die je-doch zunächst nur eine Revision des bestehenden Zivilrechts, d. h. des BPR III, zum Ziel hatten. Dies gilt zunächst auch für die Arbeiten der dritten Kodifikationskommis-sion von 1933. die erst nach dem Staatsstreich vom Mai 1934 (Errichtung eines autori-tären Regimes unter Ulmanis) den Revisionsgedanken aufgab und in 120 Sitzungen den Entwurf zu einem neuen, eigenständigen Zivilgesetzbuch ausarbeitete. Dieser wurde in 40 Sitzungen von dem sog. Kleinen Kabinett revidiert und im Januar 1937 vom Ministerkabinett verabschiedet. In Kapitel 3 geht Schwartz den tragenden Grundsätzen und dem Inhalt des ZGB von 1937 nach (S. 149-229). Die 2400 Bestimmungen umfassende Kodifikation (1938 ergänzt durch ein Grundbuchgesetz) bedeutete insgesamt eine Abkehr von einem in-dividualistisch ausgerichteten Privatrecht hin zu einem stärker gemeinschaftsbezogenen sozialen Recht (S. 153). Dies kam bereits in i 1 der »Einleitung" zum Ausdruck: „Rechte sind auszuüben und Pflichten sind zu erfüllen nach gutem Glauben". Aller-dings beruht ein nicht unerheblicher Teil des ZGB auf dem BPR III und damit auf dem römischen Recht. Nicht ganz unerheblich waren auch die Einflüsse des schwei-zerischen Zivilgesetzbuchs und des Bürgerlichen Gesetzbuchs des Deutschen Rei-ches. Von den Einzelregelungen seien hervorgehoben: Trennung des schuldrechtlichen Rechtsgeschäfts von der Übereignung, die jedoch kausal ausgestaltet war: Ablehnung eines gutgläubigen Erwerbs, jedoch Versagung eines Herausgabeanspruchs gegen den gutgläubigen Erwerber einer beweglichen Sache: Einführung des Grundbuchsystems; akzessorische Hypothek als einzige Grundpfandform mit Zulassung jedoch der Blankozession und Beibehaltung des Instituts der ruhenden Erbschaft. Unklar bleibt die Reichweite des deliktischen Generaltatbestandes des § 1635: „Jede Rechtsverletzung, d. i. jede an sich unerlaubte Handlung, gibt dem Geschädigten das Recht, vom Ver-letzenden Entschädigung zu verlangen, soweit ihm diese Handlung zur Schuld zu-gerechnet werden kann." Erst mit dem ZGB von 1937 wurde das geteilte Eigentum, das in Mitteleuropa bereits im 19. Jahrhundert beseitigt worden war, gegen eine Ent-schädigung von 8-12% des Grundstückswertes abgeschafft. Für das Familienrecht \ ermisst der Leser nähere Ausführungen zum Nichtehelichenrecht (Übernahme der exceptio plurium) und des Adoptionsrechts, beides Rechtsgebiete, die in den 20er und 30er Jahren in Mitteleuropa Gegenstand zahlreicher Reformüberlegungen waren. In Kapitel 4 bringt Schwartz eine Gesamtbeurteilung des ZGB von 1937 in rechts-dogmatischer und rechtspolitischer Hinsicht vornehmlich aus zeitgenössischer letti-scher Sicht (S. 231-264). Die Kodifikation beseitigte den lokalen Rechtspartikularis-mus und den sog. sozialen Partikularismus, d. h. den ständisch orientierten Rechtspanikularismus. Sie brachte hinsichtlich des Modernisierungsbedarfs den Anschluss an das Zivilrecht West- und Mitteleuropas. Vor allem aber ist die Bedeutung des ZGB, das zur Schaffung einer lettischen juristischen Terminologie beitrug, als „große na-tionale Errungenschaft" hervorzuheben (so der Staatspräsident Ulmanis, S. 245). Das ZGB galt mit einer Unterbrechung in den Jahren 1940/41 bis 1944 und wurde ab 1992 mit Änderungen sukzessive wieder in Kraft gesetzt. Mit seinem Werk hat Schwartz nicht nur einen wichtigen Beitrag zur Rechtsgeschichte Lettlands, sondern gleichzei-tig auch zur europäischen Rechtsgeschichte der Zwischenkriegszeit geleistet, deren Erforschung noch immer in den Anfängen steckt. Unter diesem Aspekt wären einige detailliertere rechts vergleichende Hinweise nützlich gewesen, so auf das von Schwartz erwähnte tschechische Zivilgesetzbuch, das jedoch nicht mehr verabschiedet wur-de (vgl. S. 232). Nach der Erschließung der Materialien und Grundlagen des ZGB von 1937 steht nunmehr einer vertieften Befassung mit den rechtsdogmatischen und rechtspolitischen Grundlagen dieser Kodifikation nichts mehr im Wege. | |
Bron: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, 127.Band, 2010 | |
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Philipp Schwartz Das Lettländische Zivilgesetzbuch vom 28. Januar 1937 und seine Entstehungsgeschichte ISBN: 978-3-8322-7758-1 Prijs: 49,80 € / 99,60 SFR |
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Das lettische Zivilgesetzbuch von 1937 ist nicht nur ein zentrales Monument der neuzeitlichen baltischen Rechtsentwicklung, sondern zugleich auch eine der großen römisch-rechtlichen Kodifikationen des 20. Jahrhunderts. Und es ist ganz nebenbei auch wieder das geltende Recht Lettlands, auch wenn seit seiner etappenweisen Wiederinkraftsetzung nach der lettischen Unabhängigkeit vieles modernisiert und fortentwickelt worden ist. Ein derartiges wichtiges Werk europäischer Rechtskultur verdient eine fundierte historische Aufarbeitung. Wertvolle Forschungen zur Entstehung des lettischen ZGB wurden auch und vor allem in deutscher Sprache seit den 1950er Jahren veröffentlicht. Hier ist besonders Dietrich Loeber zu nennen, dessen Vater an der Ausarbeitung des Kodex aktiv beteiligt gewesen war. Solange die sowjetische Okkupation währte, konnten derartige Arbeiten nur auf das bis vor 1940 zurückreichende Gedächtnis der Autoren und wenige nach Westen gelangte Archivalien gestützt werden. Hier setzt die Arbeit von Schwartz an. Er wertete die Archive in Riga und anderswo aus und fand noch zahlreiche Materialien, obwohl viele Bestände durch Krieg, Fremdherrschaft und ideologisch motiviertes Desinteresse verloren gegangen sind. Auch das lettische Schrifttum der Zwischenkriegszeit und die heutigen Arbeiten zum ZGB zog er für das vorliegende Werk heran. Dass dadurch eine „kompilatorische Kompilation" (S. 8) entstanden sein mag, nimmt der Autor gerne in Kauf - fehlt es doch auch in Lettland an einer umfassenden, mehr als punktuellen Bearbeitung der Entstehungsgeschichte des ZGB. Eine Zusammenführung und Neubewertung des vorhandenen Wissensstandes tut also dringend Not. Und diese Arbeit leistet das vorliegende Werk. Es beginnt mit dem 19. Jahrhundert und schildert die Rechtsentwicklung in den Ostseeprovinzen. Eine zentrale Rolle nimmt dabei naturgemäß das Baltische Privatrecht ein, das dem ZGB als Grundlage - allerdings bei weitem nicht als einzige - gedient hat. Die Rechtsentwicklung wird eingebettet in die Sozialentwicklung, v. a. in die Entwicklung der lettischen Nationalbewegung, dargestellt. Das zweite, „Entstehungsgeschichte der nationalen lettischen Zivilrechtsgesetzgebung" titulierte Kapitel widmet sich der Zeit ab 1918. Im Mittelpunkt stehen die Debatten um die Schaffung eines lettischen Zivilrechts und die zu diesem Zweck eingeleiteten Kodifikationsbemühungen. Auch der Entwicklung des vor Erlass des ZGB geltenden Zivilrechts schenkt Schwartz die gebührende Aufmerksamkeit. Auf diese Weise entsteht ein Bild von der Wechselwirkung zwischen Vorhandenem und Neuerungsideen. Ein weiteres umfangreiches Kapitel setzt sich mit dem Inhalt des ZGB in der 1937 verabschiedeten Urfassung auseinander. Schwartz beschreibt die wesentlichen Inhalte, zeigt unter Bezugnahme auf die Konzeptionen und Motive ihre historischen und dogmatischen Aspekte auf und vergleicht sie insbesondere mit den Teilen des Baltischen Privatrechts, die den Formulierungen im ZGB 1937 in verstärktem Maße Pate gestanden haben, d.h. mit dem Dritten Teil des BPR. Diese Technik macht die Einbettung des ZGB in die baltische Rechtsentwicklung ebenso deutlich wie seinen innovativen Gehalt. Geboten distanziert fällt im vierten Kapitel die dogmatische und rechtspolitische Beurteilung aus. Das ZGB beendete 1937 den lokalen und sozialen Rechtspartikularismus, indem es ein im ganzen Land und für alle Stände einheitlich geltendes Normensystem schuf, und bedeutete auch für die lettische Rechtssprache einen nicht zu unterschätzenden Fortschritt. Dem standen technische Schwächen wie eine allzu starke Kasuistik und ein politisch gewolltes Modernitätsdefizit gegenüber, da das ZGB inhaltlich in vielen Punkten an überkommenen Regeln des Baltischen Privatrechts festhielt, diese nur zusammenhängender und sprachlich gelungener formulierte. Für weiter gehende Forschungen ist der Quellenapparat am Ende unverzichtbar. Er arbeitet die Bestände lettischer Archive ebenso auf wie einen Teil des - zurzeit unzugänglichen - Privatarchivs von D. Loeber. Es bleibt zu hoffen, dass das Grundlagenwerk von Schwartz weitere Forschungen inspiriert, die dazu beitragen, dass diese europäische Zivilrechtskodifikation aus ihrem bisherigen wissenschaftlichen Schattendasein heraustreten kann. | |
Bron: Prof. Dr. Herbert Küpper, Jahrbuch für Ostrecht, Band 50 (2009, S. 543-544) | |
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