Wilma Ruth Albrecht Nachkriegsgeschichte/n Sozialwissenschaftliche Beiträge zur Zeit(geschichte) ISBN: 978-3-8322-6506-9 Prijs: 49,80 € / 99,60 SFR |
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Nachkriegsgeschichte. Grundlagenliteratur von Wilma Ruth Albrecht zum Verständnis der BRD und des Kalten Krieges. Von Robert Steigerwald. Dies ist ein Buch, das Zeit für die Lektüre abverlangt, denn es ist gespickt mit Dokumentarmaterial, das die Älteren unter uns, selbst wenn sie das Berichtete persönlich erlebt haben, zum großen Teil schon wieder vergessen haben dürften und das Jüngeren – wegen der »verordneten Geschichtsaufklärung« hierzulande, nicht bekannt sein wird. Insbesondere Lehrerinnen und Lehrer für die politische Geschichte der Jahre ab 1945 werden hier reichhaltiges Material für den Unterricht finden. Dabei handelt es sich nicht um ein Geschichtsbuch traditioneller Art. Das zeigen schon die Statistiken insbesondere zu ökonomischen Entwicklungen. Die Autorin kennzeichnet ihren Standpunkt als demokratisch und die benutzte Methode als die der materialistischen Geschichtsauffassung. Ausgangspunkt ihrer Arbeit ist die Kriegs- und Nachkriegspolitik der Kräfte der Anti-Hitler-Koalition sowie die dieser Politik zugrundeliegenden ökonomischen und politischen Interessen. Zu diesem Zweck konzentriert sich der Text vor allem auf zwei Grundthemen: Einerseits auf die ökonomischen und politischen Auseinandersetzungen der drei Hauptmächte der antifaschistischen Koalition, also der Sowjetunion, der USA und Englands (Frankreich wurde ja während der Potsdamer Konferenz erst »großmütig« hinzugezogen) . Wobei es vor allem, aber nicht nur, um Deutschland ging. Im zweiten Komplex, damit direkt zusammenhängend, geht es um das Problem der ökonomischen und politischen Wurzeln des deutschen Imperialismus, Militarismus und des Faschismus, abgehandelt am Problem der Entnazifizierung, sprich: deren Verhinderung. Der übergreifende Kontext: Die ökonomischen, politischen und militärischen Fundamente für die Schlagkraft des imperialistischen Deutschlands sollten, so weit wie zunächst möglich, unangetastet bleiben – entgegengesetzte Strategien waren in einem längeren Prozeß zu verhindern, denn die Volksmassen der Anti-Hitler-Koalition waren mit solchen Strategien nicht einverstanden. Wie verlief dabei der Prozeß der Gründung der Vereinten Nationen? Nun, dazu gibt es schon viel Literatur. Was also ist das Besondere dieses Textes. Es besteht in den herangezogenen Dokumenten, den Protokollen, den Memoiren der daran Beteiligten. Diese zu beschaffen war mühlevoll und ist das Verdienst der Autorin. Wir erfahren: Wie wurde das jeweilige Kräftepotential eingesetzt, um das eigentliche Hauptziel zu erreichen, die Sowjetunion möglichst daran zu hindern, die Früchte ihres mit so gewaltigen Opfern erkauften Anteils am Sieg über den Faschismus zu ernten? Welche Rolle spielte der Marshall-Plan? Wie schalteten sich die US-Monopole in die Entwicklungen ein? Worin bestanden die zwei unterschiedlichen Konzeptionen der US-Außenpolitik? Also jener Franklin D. Roosevelts und seines Vizepräsidenten Henry A. Wallace? Sie wird als »Internationalismus der Linken« bezeichnet. Mit Wallace’ Ersetzung im Sommer 1944 durch Harry S. Truman verlagerte sich das Gewicht auf die antikommunistische »Realpolitik« Churchills, dessen geradezu auf erneute kriegerische Abenteuer erpichte Bemühungen werden mit sicher wenig bekannten Quellen offenbar gemacht. Welche politischen und juristischen Tricks und Kniffe wurden benutzt, die Entnazifizierung zu hintertreiben. In diesem Zusammenhang wäre die FDP, ihr großmäuliges Beharren auf den Werten der »Freiheit« und des »Rechtsstaates« von heute mit ihrem damaligen Verhalten zu konfrontieren– Material dazu enthält das Buch in Hülle und Fülle, wobei die Rechtsstaatproblematik nicht nur im Hinblick auf die FDP behandelt wird. Was hat es mit dem Morgenthau-Plan auf sich, mit dessen Fälschung die Nazis die Kriegswilligkeit der Deutschen zu erhalten versuchten? Wie wurde die Sowjetunion bewertet– wie vor und wie nach Stalingrad? In welchem Ausmaß wurden wieder die »Rechtsträger« der Nazis in Amt und Würden gebracht? Die zunächst keinesfalls progressive Rolle des Bundespräsidenten Gustav Heinemanns wird gezeigt. Sofern ich richtig gelesen habe, fehlt ein Komplex, der für die bundesdeutsche Entwicklung auch von strategischer Bedeutung war (und ist): das Erste Strafrechtsänderungs-gesetz. Wegen der Schnelligkeit, mit der es vor allem auf Herbert Wehners Betreiben durch das Parlament gejagt wurde ging es als »Blitzgesetz« in den Sprachgebrauch ein. Und gerade auch an diesem Beispiel ließe sich die Verlogenheit der Rechtsstaatsideologie deutlich machen. Die Gliederungen am Beginn jedes Komplexes ersetzen in gewissem Maße ein fehlendes Register – hier ginge es vor allem um ein solches der Personen, aber welcher kleine Verlag hat heute noch die Mittel, sich so etwas »leisten«. Wilma Ruth Albrecht: Nachkriegsgeschichte/n. Sozialwissenschaftliche Beiträge zur Zeit(geschichte). Shaker Verlag, Aachen 2007, 208 Seiten, 49,80 Euro | |
Bron: Junge Welt, 25.8.2008, Politisches Buch, S. 15 | |
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