Darina Chovaniaková
„Ich war dort, also, ich weiß, dass dort alles geordnet ist ...“
Deutschland und Deutsche in der Wahrnehmung von slowakischen Schülern
Die vorliegende Publikation ist die Dissertation der Autorin und entstand im Rahmen des internationalen Promotionsstudiengangs Erziehungswissenschaften und Psychologie an der Universität Siegen.
Ziel der Untersuchung ist es, auf differenzierte Weise deutsche und slowakische Identität zu reflektieren, vorurteilsbehaftetes und stereotypes Denken zu analysieren und einzuhegen, um interkulturelle Kommunikation zu fördern. Ferner können die Forschungsergebnisse sicherlich als wichtige Informationsquelle für die slowakische Jugendforschung, die interkulturelle Bildung sowie die Didaktik des Deutschunterrichts betrachtet werden.
Neben einem unfangreichen Literaturverzeichnis und einem Anhang, in dem die analysierten Lehrpläne und Lehrbücher, die Auswahl und die Charakteristika der Interviewten sowie der verwendete Fragebogen abgebildet werden, besteht die Arbeit aus sechs Kapiteln, wovon sich die ersten drei mit dem Begriff des Deutschlandbildes und den unterschiedlichen Dimensionen von Deutschlandbildern befassen.
Im ersten Kapitel wird der Begriff Deutschlandbild definitorisch abgehandelt und über entsprechende Klischees und Vorurteile berichtet. Darüber hinaus rekonstruiert die Autorin die Genese des Deutschlandbildes, also dessen Entwicklung und Ausprägung.
Im zweiten Kapitel erfolgt eine Erweiterung dieser Thematik, indem sehr viel konkreter und empirisch untermauert auf Deutschlandbilder in Europa und in der Slowakei Bezug genommen wird. Unterkapitel sind hier der fortschrittliche, der kriegssüchtige, der gut und der böse Deutsche, schließlich auch der Deutsche als Nachbar und Partner.
Die im Deutschunterricht in der Slowakei entworfenen und vermittelten Deutschlandbilder werden im dritten Kapitel behandelt. In ihm werden diesbezügliche Lehrpläne, Lehrwerke sowie die Lernenden selbst hinsichtlich ihrer Deutschlandkompetenz vorgestellt. Neben Aspekten der interkulturellen Kompetenz und des interkulturellen Lernens geht es hierbei auch um die Problematik unterschiedlicher Motivationslagen bei den Lernenden: extrinsisch und intrinsisch sowie instrumentell und integrativ.
Das vierte Kapitel beinhaltet die quantitative Forschung, die zwischen Januar und Februar 2006 an vierzehn slowakischen Schulen mit insgesamt 540 Befragten und in drei slowakischen Städten (Zilina, Trnava, Poprad) durchgeführt wurde. Hier kommt die Autorin unter anderem zum Ergebnis, dass sich die negativen Wertungen auf die affektive, die positiven Wertungen hingegen auf die kognitive Ebene der Befragten beziehen. Bei den Assoziationen mit dem Wort Deutschland fallen noch immer die meisten Vorstellungen der befragten Schüler/innen mit der Kategorie Zwei Weltkriege und Nationalsozialismus zusammen. Im Hinblick auf bestehende Klischees wird Deutschland von den meisten Schüler/innen als progressives und hochentwickeltes Land betrachtet. Hinsichtlich der Stereotype werden die Deutschen einerseits als lärmend und aggressiv, andererseits als selbstbewusst und lustig wahrgenommen. Die Emotionen gegenüber Deutschland sind zumeist negativ besetzt und bezüglich der Sympathien rangieren die Deutschen bei den slowakischen Befragten ebenfalls weit hinten. So verwundert es kaum, dass bei dem Erlernen der deutschen Sprache extrinsische und instrumentelle Motivationen zu dominieren scheinen.
An der qualitativen Umfrage, deren Ergebnisse im fünften Kapitel wieder gegeben werden, beteiligten sich 38 Interviewte, die durch ein theoretical sampling ausgewählt und mit Hilfe teilstandardisierter Interviews befragt wurden.
Auch hier begegnen wir den Klischees hoch entwickelt und fortschrittlich, was auf den wirtschaftlichen und technischen Fortschritt Deutschland nach 1945 zurückzuführen ist, allerdings auch dem Klischee kriegssüchtig, wobei die militaristische Vergangenheit Deutschlands einen Schlüsselaspekt darstellt.
Hinsichtlich der Stereotype haben wir einerseits das positive Stereotyp des freundlichen, kommunikativen Deutschen zu verzeichnen, andererseits gibt es das Bild vom
überheblichen Deutschen, etwa als Urlauber oder Berater.
Deutschland wird bei den Befragten als touristisch attraktives Land wahrgenommen, die meisten Befragten, die Kennenlern-, Erholungs- sowie Sprach- und Studiengründe für ihre beabsichtigten Deutschlandreisen angeben, kennen Deutschland nicht aus persönlicher Anschauung, sondern nur vom Hörensagen. Aus den oben genannten drei Aspekten von Deutschlandbildern rekonstruiert die Autorin drei Zusammenhänge:
- positive Klischees schließen nicht das Vorhandensein von negativen Stereotypen aus;
- negative Klischees kommen mit negativen Stereotypen vor, aber nicht umgekehrt;
- positive Reiseinteressen treten mit positiven oder negativen Klischees und Stereotypen auf. (S. 182)
In ihrem „Ausblick" kommt Chovianková zum Ergebnis, dass einige Jugendliche dazu tendieren, vorschnelle und oberflächliche Urteile zu entwickeln (Kriegsgeschichte!). Dies stelle ein Hindernis für gute internationale Kontakte und interkulturelles Zusammenleben dar. Deshalb müsse nach Verfahren und Instrumenten gefragt werden, slowakischen Jugendlichen die deutsche Kultur realer näher zu bringen.
Im Geschichtsunterricht slowakischer Schulen sollte vermittelt werden, dass das Klischee über das kriegslüsterne Deutschland nicht zum zeitgenössischen Deutschland und zur gegenwärtigen Generation der Deutschen passe. Auch im slowakischen Fernsehen werde in Kriegsfilmen sehr häufig das Bild des aggressiven Deutschen propagiert. Heimische Sender sollten deshalb auch Einblicke in andere, aktuellere Deutschlandkontexte geben. Größte Bedeutung habe der Deutschunterricht, der gewöhnlich einen positiven Einfluss auf das Deutschlandbild ausübe. Wie aus den Antworten der Befragten hervorgeht, wirken sich allerdings wenig engagierte Deutschlehrer/innen sowie eine extrinsische Motivation, bei der die Schüler/innen zum Deutschunterricht gezwungen werden, negativ aus. In den Interviews wird darüber hinaus angeregt, dass man sich im Unterricht intensiver mir der Alltagskultur und dem Lebensstil deutscher Gleichaltriger befassen sollte, und dass Deutschlandaufenthalte erwünscht wären.
Sicherlich besteht die innovative Bedeutung dieser Untersuchung darin, dass hier zum ersten Mal explorativ vorgestellt wird, wie slowakische Jugendliche Deutschland und die Deutschen sehen und bewerten. Allerdings muss man der Autorin beipflichten, wenn sie hervorhebt, dass noch zahlreiche Fragen offen bleiben, die zukünftig ausführlich geklärt werden sollten.
Quelle: aktuelle ostinformationen, 41. Jahrgang, 3/4 2009, S. 77-79