Kirsten Anna van Elten
Selbstverständnis und Fremdwahrnehmung lutherischer Professoren an den Universitäten Helmstedt und Rinteln im 17. und 18. Jahrhundert
Kirsten Anna v a n E l t e n : Selbstverstandnis und Fremdwahrnehmung lutherischer Professoren an den Universitaten Helmstedt und Rinteln im 17. und 18. Jahrhundert.
Aachen: Shaker Verlag 2018 [Diss. phil. Hamburg 2017]. 236 S., 49,80 €.
Van Elten fragt nach dem Selbstverständnis der Professoren und danach, welchen Einfluss bzw. welche Bedeutung Konfession auf ihr Gruppenverständnis in Selbstdarstellung und Außenwahrnehmung hatte. Sie fokussiert ihre Untersuchung auf die Universitäten Helmstedt und Rinteln. Damit bietet sie den ersten systematischen Vergleich dieser Parallel-Institute, die beide, als späthumanistische Landesuniversitäten gegründet, durch die königlich westphälische Regierung 1809 aufgehoben wurden.
Die Universität Rinteln, 1610 als akademisches Gymnasium eingerichtet, 1621 kaiserlich privilegiert, besaß in der Universität Helmstedt ihr unmittelbares Vorbild. Die Statuten entsprechen sich mit wenigen, allerdings bedeutsamen Ausnahmen. Dazu gehören die konfessionellen Verpflichtungen. Während die Helmstedter Professorenschaft im Prinzip auf das Corpus Julium, die in Braunschweig-Wolfenbüttel geltenden Bekenntnisschriften, verpflichtet wurde, galten die entsprechenden Dogmen der schaumburgischen Kirchenordnung in Rinteln nur für die Theologen. Für die Mitglieder der übrigen Fakultäten gab es keine konfessionellen Festlegungen.
Nach Teilungen der jeweiligen Territorien im Laufe des Dreißigjährigen Krieges blieben beide Universitäten zunächst Kommunionbesitz der nachfolgenden Landesherrschaften, bis diese Konstruktion in Rinteln 1665, in Helmstedt 1745 aufgelöst wurde, zugunsten letztlich der Universitäten Marburg und Göttingen. Das Kondominium der Landgrafen zu Hessen-Kassel und der Grafen zu Schaumburg-Lippe wirkte sich für Rinteln in besonderer Weise aus, weil die Landesherren der evangelisch-reformierten Konfession anhingen, die theologische Fakultät aber lutherisch bleiben musste. Für Helmstedt lagen die Dinge einfacher, da trotz der Konversionen einzelner Fürsten der lutherische Bekenntnisstand auf Basis des Corpus Julium weder in Hannover noch in Wolfenbüttel in Zweifel gezogen wurde. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts verklammerte sich die Geschichte der Universitäten Helmstedt und Rinteln dadurch, dass die Rintelner Landesherren den Konfessionsgegensatz zwischen Lutheranern und Calvinisten abzumildern versuchten, indem sie bevorzugt Theologen der Helmstedter, calixtinischen Richtung beriefen, was Helmstedt und Rinteln in eine gemeinsame Frontlinie gegen das orthodoxe Luthertum im Reich brachte.
Dieses ist der Rahmen, innerhalb dessen van Elten die Professorenschaft untersucht. Dazu verwendet sie das Konzept des „self-fashioning“, das der amerikanische Literaturwissenschaftler
Stephen Greenblatt formuliert hat. „Self-fashioning“ heißt in diesem Zusammenhang nicht nur „Selbstdarstellung, Selbstinszenierung“, sondern meint – so die Definition der Autorin – „die verschiedenen Praktiken, derer sich die Professoren … bedienten, um sich als Gruppe zu definieren und von anderen abzugrenzen“ (S. 12). Das konfessionelle „Self-fashioning“ sieht sie in einem Spannungsverhältnis zur allgemeinen, tendenziell überkonfessionellen humanistischen Gelehrtenkultur.
Sie zeichnet im Folgenden die Karrieren der Professoren und die „konfessionelle Ambiguität“
der Universität Helmstedt, das Mit- und Gegeneinander an der „bikonfessionellen“
Universität Rinteln, schließlich die Darstellung beider Universitäten in den zeitgenössischen
Medien nach. Dabei behandelt sie bekannte kirchengeschichtliche Auseinandersetzungen: die Entlassung des orthodoxen Lutheraners Johann Gisenius in Rinteln (1651), das Kasseler Religionsgespräch (1661) und den „Synkretismusstreit“ um die Helmstedter Theologie, aber auch administrative Maßnahmen, die den lutherischen Kultus in Rinteln nach und nach einschränkten. Nach jedem Abschnitt zieht sie ein Fazit und kommt zusammenfassend zu folgenden Ergebnissen: Die konfessionelle Ausrichtung dominierte im Konfliktfall das Handeln stärker als die verbindende Gelehrtenkultur. Die Konflikte führten zu konfessionellen Solidarisierungseffekten, neben den wissenschaftlichen und populärwissenschaftlichen Kontroversen bestimmten jedoch auch politische
Absichten das Bild, die Mechanismen der Regierungspraktiken und die Einbindungen der
Theologen in ihre Landeskirchen. Dennoch habe die Communitas universitatis im Wesentlichen bewahrt werden konnen.
Van Elten kann unsere Kenntnisse des konfessionellen Agierens an frühneuzeitlichen Universitäten im Reich vertiefen, ihre Ergebnisse haben jedoch wenig Überraschendes. Die Autorin hat Umsicht bewiesen und viel Mühe angewendet, ohne grundlegend Neues zu bieten. Das scheint folgende Gründe zu haben: Sie changiert zwischen „Self-fashioning“ als einem auf Aktionen ausgelegten Konzept und „Selbstdarstellung und Fremdwahrnehmung“, S. 85 flicht sie außerdem den soziologischen „Habitus“ ein. Dazu kommt die Schwierigkeit, einerseits das individuelle, andererseits das Gruppenhandeln betrachten zu wollen. Es zeigen sich gewisse Unentschiedenheiten, die primär daraus resultieren, dass kein geeignetes Quellencorpus für professorales „Self-fashioning“ und „Selbstverständnis“ erschlossen werden konnte. Das allerdings kann der Autorin nur bedingt angelastet werden.
Brage Bei der Wieden, Wolfenbüttel
Quelle: Braunschweigisches Jahrbuch für Landesgeschichte, Band 101, Jahr 2020, S. 287f.