Birgit-Herta Renges
Interkulturelles Lernen und methodisch-didaktische Aspekte in aktuellen Englischlehrbüchern und Unterrichtsmaterialien der Sekundarstufe II
Die Untersuchung bearbeitet eine präzis umrissene Aufgabe, welche in einen breiten Referenzrahmen gestellt wird. So liegt der Schwerpunkt auf einem wichtigen Teilgebiet der Fremdsprachendidaktik (interkulturelles Lernen) mit medien- und jahrgangsspezifischen Vorgaben (Lehrbücher und Unterrichtsmaterialien der Sekundarstufe II). Die zentralen Themenfelder werden in etwa gleich langen Kapiteln ausführlich vorgestellt und differenziert erörtert. Dabei ist der interkulturelle Diskurs besonders gelungen, da er seinen komplexen Gegenstand gleichermaßen historisch wie aktuell, interdisziplinär wie fachspezifisch, theoretisch wie praxisnahe behandelt. Bemerkenswert ist ferner der hohe Vernetzungsgrad dieses Titels, welcher fachwissenschaftliche und fachdidaktische Erkenntnisse im Sinne eines schüler-, prozess- und handlungsorientierten Unterrichts aufeinander bezieht. Im Mittelpunkt des interkulturellen Lernens steht die Dialektik von Selbst-und Fremdverstehen, welche anhand literatur- und kulturdidaktischer Parameter (Kultur, Identität, Perspektive, Empathie, Stereotype) kognitiv wie affektiv dargestellt und kontrovers verhandelt wird. Der souveräne Umgang mit der einschlägigen Terminologie sei ausdrücklich hervorgehoben.
Indessen erweist sich der explizit didaktisch-methodische Teil (81 ff.) als weniger kohärent. Hier werden "aktuelle Trends in der Englischdidaktik" kurz vorgestellt, die per se zweifellos über eine hohe fremdsprachendidaktische Relevanz verfügen, jedoch im Einzelfall den Bezug zum Titel vermissen lassen (z.B. Bilingualer Sachfachunterricht).
Das zweite Kernstück des Buchs befasst sich zunächst historisch und systematisch mit der deutschen Schulbuchforschung nach dem 2. Weltkrieg (156 ff). Geboten werden informative Kapitel zum Entstehungs- und Auswahlprozess von Lehrbüchern sowie, dankenswerterweise, zur andauernden Kontroverse um das Für und Wider herkömmlicher Lehrwerke vor dem Hintergrund multimedialer Lehr- und Lernmittel. Es folgt die eigentliche Schulbuchanalyse (175 ff.), welche neuere und neueste Produktionen von insgesamt vier Verlagen sowie zahlreiche Reader unter die (interkulturelle) Lupe nimmt. Die Analyse beruht auf einem Kriterienkatalog, der aus 45 Fragen besteht, welche das interkulturelle Lehr- und Lernpotential der untersuchten Materialien für den Englischunterricht evaluieren. Dabei kommen sprachliche, inhaltliche und methodologische Aspekte zur Geltung (z.B.: "Gibt es Beispiele für eine Mehrsprachigkeitsdidaktik?"; "Fallen stereotype Darstellungsweisen auf?"; "Gibt es Anleitungen zur Vorbereitung eines Auslandsaufenthaltes?"; "Gibt es Beispiele für Handlungsorientierung?"; "Welche Arten von pre-, while- und post-reading activities gibt es?", "Sind die Schulbuchtexte authentisch?"; "Gibt es Anleitungen zum selbstständigen Arbeiten?") Die Auswertung der Einzelergebnisse unter kognitiven, affektiven und prozessualen Gesichtspunkten erfolgt gleichermaßen sachlich-distanziert wie kritisch-engagiert. Das Fazit, dass "die 4. Lehrbuchgeneration eine durchaus gelungene Lehrbuchgeneration ist" (275), verbindet sich mit konkreten Forderungen nach einer weiteren Optimierung derartiger Materialien, deren didaktisch-methodische Existenzberechtigung durchaus bekräftigt wird.
Das Buch kann jedem Englischlehrer und jeder Englischlehrerin empfohlen werden. Im Übrigen bietet es durch seine Fokussierung auf die Sekundarstufe II eine inhaltliche und methodologische Ergänzung zu Marion Kiffes Monographie Landeskunde und interkulturelles Lernen im Fremdsprachenunterricht - Eine Analyse von Englischlehrwerken für die Sekundarstufe I (Aachen: Shaker 1999).
Quelle: Volker Raddatz in: PRAXIS Fremdsprachenunterricht Nr. 5/2006