Hans-Stefan Siller
Modellbilden – eine zentrale Leitidee der Mathematik
Wenn in der Schule für das Leben gelernt werden soll, muss es mindestens einen Weg geben, das Leben in die Schule zu bringen, um es dort zu thematisieren. Nicht nur aus pragmatischen und didaktischen, sondern auch aus vielen anderen Gründen wird das Leben jedoch nicht in seiner vollen Komplexität zum Thema von Schulunterricht, sondern in sorgfältig ausgewählten Aspekten und Teilbereichen. Auswahl, Eingrenzung und Strukturierung von Teilthemen, die Konzentration aus das Wesentliche in Bezug auf ein bestimmtes Lehrziel oder einen bestimmten Stoff sind in der Schule völlig übliche Vorgangsweisen und werden kaum als Modellbildung wahrgenommen. In der Mathematikdidaktik konzentriert sich die Diskussion über Modellbildung in der Regel darauf, wie SchülerInnen lernen können, voraus gewählte Themen und Sachverhalte zu mathematisieren, als Gleichungssystem oder mit anderen mathematischen Mitteln und damit im Mathematikunterricht zu untersuchen. Hinter dem Bemühen um Modellierung steht die berechtigte Hoffnung auf bessere Motivation – realitätsbezogene Fragen modellieren und analysieren gibt eine plausible Antwort auf die Schülerfrage „Wozu lernen wir Mathematik?“ – und die Gewissheit, eine umfassendere Sicht von Mathematik als bisher üblich zu vermitteln. Mit den Worten von Hans-Stefan Siller: Modellbilden ist eine zentrale Leitidee der Mathematik! Er argumentiert im ersten Kapitel seiner Arbeit direkt für seine These unter Bezug auf zentrale Beiträge zur Mathematikdidaktik in der deutschsprachigen Mathematikdidaktik und in den weiteren Kapiteln indirekt, indem er sie an vielen mathematischen Beispielen vorführt.
Eine Begriffsklärung in Sachen Modellierung ist heute angesichts der Konjunktur dies Begriffs ebenso wichtig wie eine Fülle von Beispielen, an denen inhaltlich und methodisch, d.h. mit Hinweisen für eine geeignete Methodik im Mathematikunterricht zu den jeweiligen Beispielen, gezeigt wird wie Modellieren stattfinden kann und soll. Siller wählt dazu mathematisch und inhaltlich anspruchsvolle Beispiele aus der Mathematik der Oberstufe, etwa Extremwertaufgaben u.a. am Schwimmbojenbeispiel, Stochastische Musik oder Federpendel und Fadenpendel als Beispiel für fächerübergreifenden Unterricht. Ein zentraler Punkt der Arbeit Sillers weist nachdrücklich auf ein für den ganzen Mathematikunterricht wichtiges Anliegen hin: Modellbildung ist keinesfalls auf realitätsbezogenen Unterricht beschränkt, sondern eine fundamentale Leitidee der Mathematik selbst. „Wo bleibt das Modellbilden bei innermathematischen Anwendungen?“ fragt Siller im 5. Kapitel seiner Arbeit und beantwortet diese Frage selbst, anhand von Taylorreihen, Differenzen- und Differentialgleichungen. Im Zuge seiner Modellierungen nutzt er ganz selbstverständlich verschiedene elektronische Rechen- und Denkhilfen und zeigt so auch, wie sich solche technologischen Hilfsmittel gut in den Mathematikunterricht integrieren lassen.
Quelle: Jürgen Maaß, Linz (Österreich)