Heiko Bauer
Die Erbschaftsbesteuerung von Betriebsvermögen im Vereinigten Königreich – ein Modell für Deutschland?
Nach der Reform ist vor der Reform. Getreu diesem Motto legte Heiko Bauer seine gelungene Arbeit mit dem Titel "Die Erbschaftsbesteuerung von Betriebsvermögen im Vereinigten Königreich — ein Modell für Deutschland?" im Jahr 2009 vor. Obwohl die Arbeit über ein Jahr nach Inkrafttreten der grundlegenden Reform der deutschen Erbschaftsteuer durch das ErbStRG vom 31.12.2008 erschienen ist, gibt die Arbeit leider nicht vollumfänglich den bis dahin vorliegenden Stand des deutschen Erbschaftsteuerrechts wieder. So bezieht sich z.B. die Einleitung noch auf den Entwurf zum ErbStRG, der vor allem durch den Finanzausschuss des Deutschen Bundestages noch erhebliche Änderungen erfahren hatte. Völlig unberücksichtigt blieben auch die Erlasse der Finanzverwaltung zur Anwendung des neuen Rechts.
Thema der Arbeit ist der britische Business Property Relief (BFR), der immer wieder Gegenstand deutscher Fachliteratur ist (zuletzt z.B. Richter, IStR 2008, 59). Die Arbeit beginnt mit einem knappen, aber guten Überblick über die allgemeine erbschaftsteuerliche Behandlung von close companies, partnerships und trusts, wobei dieser Teil beispielhaft ist für die eher mit weniger Nachweisen versehene Arbeit. Bei der darauf folgenden Darstellung des britischen erbschaftsteuerlichen Verfahrensrechts, insbesondere zur Steuerfestsetzung und Ratenzahlung, wird zwar neben dem Capital Taxes Office die in der Praxis wichtige Valuation Office Agency nicht genannt. Dafür wird die Steuerstundung aber als Ergänzung oder gar Alternative zum BPR sehr gelungen aufgezeigt. Interessant ist dann die ökonomische Beurteilung der Erbschaftsteuer in Großbritannien. Im Rahmen dessen konzentriert sich der Autor auf den sehr interessanten Aspekt der sog. small firms. Zwar werden in diesem Zusammenhang auch gut die Gründe für und gegen die britische Erbschaftsteuer aufgezeigt. Leider fehlt in diesem Teil aber die Frage nach der wirtschaftlichen Bedeutung der Erbschaftsteuer für das britische Gesamtsteueraufkommen, welches ähnlich wie in Deutschland bei etwa 1% liegt. Aufgrund dieser Größenordnung kann und sollte die Abschaffung der zu komplizierten Erbschaftsteuer durchaus offen diskutiert werden.
Sehr gelungen ist das nächste Kapitel, welches die fünzigjährige Entwicklung des BPR vor dem Hintergrund der wechselnden politischen Machtverhältnisse aufzeigt und deutlich macht, dass der britische Steuergesetzgeber grundsätzlich die immer weitergehende Steuerentlastung der unentgeltlichen Übergabe von Betriebsvermögen anstrebt. Bei der Darstellung des BPR überzeugt insbesondere die Beschreibung der Wirkungsweise des BPR (grds. Bewertungsabschlag statt Steuerfreistellung) und die detailreiche Analyse des begünstigten Vermögens (relevant business property). Die anschließende Darstellung des wholly-or-mainly-test zur Abgrenzung der begünstigten von den nicht begünstigten Unternehmen (s. a. Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG, 38.Aufl. Juli 2009, § 21 Rn. 102) und die Kritik daran überzeugen und zeigen, dass auch das britische Steuerrecht nicht immer unkompliziert ist. Dabei gelingt es dem Autor sehr gut, die einschlägige Rechtsprechung selektiv darzustellen und deren großen Einfluss im Common Law zu würdigen. Er greift dazu die insbesondere in jüngerer Vergangenheit ergangenen Campingplatz-Entscheidungen auf. An etwas zu später Stelle zeigt der Autor dann zudem die diesbezüglichen Ausnahmen für Konzernstrukturen auf, bei denen das Alles-oder-Nichts-Prinzip des wholly-or-mainly-test abgeschwächt wird. Zudem wird die in Großbritannien umstrittene Frage der zweijährigen Vorbesitzpflicht aufgeworfen und insoweit vertretbar beantwortet, als die Vermögenswerte innerhalb dieser zwei Jahre grundsätzlich nicht zwingend relevant business property sein müssen. Ähnlich wie im zuvor und jetzt geltenden deutschen Erbschaftsteuerrecht gibt es im britischen Erbschaftsteuerrecht ebenfalls eine Haltefrist nach der Übertragung des Betriebsvermögens. In Großbritannien gilt diese Frist allerdings grundsätzlich nur für lebzeitige Schenkungen, die potenziell von der Besteuerung ausgenommen sind und dies dann auch endgültig sind, wenn der Schenker die Schenkung sieben Jahre überlebt. Stirbt der Schenker innerhalb der sieben Jahre, muss das Betriebsvermögen für den BPR sieben Jahre erhalten bleiben, wobei eine Reinvestitionsklausel behilflich ist. Wird das Vermögen vor Ablauf der sieben Jahre veräußert, kommt es zu einer anteiligen Nachversteuerung durch die sog. claw back rules. Daraus entwickelt der Autor auch seine darauf folgenden Gestaltungsmodelle, wonach zumindest Betriebsvermögen von Todes wegen anstatt zu Lebzeiten übertragen werden sollte, da im Erbfall die Siebenjahresfrist mitsamt der claw back rules nicht gilt. Allerdings fehlt bei seinem Vorschlag, Betriebsvermögen auf discretionary trusts zu übertragen, die internationale Perspektive, da sich auch in den kontinentaleuropäischen Staaten die steuerliche Behandlung von trusts verschlechtert hat.
Der wohl interessanteste dritte Teil der Arbeit befasst sich dann mit der spannenden Frage, ob der BPR für das deutsche Erbschaftsteuerrecht geeignet ist. Hier rät der Autor sinnvollerweise von einer vorbehaltslosen Übernahme ab, da der BPR unter anderem auch auf das britische System der Nachlasssteuer zugeschnitten sei, wohingegen in Deutschland bekanntlich eine Erbanfallsteuer erhoben werde. Hier folgt dann auch die Darstellung des ökonomischen Hintergrunds der deutschen Erbschaftsteuer, diesmal auch mit dem Blick auf die Bedeutung der Erbschaftsteuer im Gesamtsteueraufkommen und der Frage nach der Auswirkung der Erbschaftsteuer auf unternehmerische Grundentscheidungen. Im Rahmen dieses Teils greift der Autor dann in der nötigen Tiefe die einzelnen Teilaspekte des BPR, wie z. B. den 100-prozentigen Abschlag bei bestimmten Betriebsvermögen, auf und diskutiert die Übertragbarkeit der Regelungsteile auf das deutsche Recht. Diese Diskussion stellt er zum einen vor den ökonomischen und zum anderen vor den europa- und verfassungsrechtlichen Hintergrund. Er lehnt dabei vor allem die Übernahme des wholly-or-mainly-test ab, da er zu streitanfällig sei. Die in der Einleitung vorgestellte Ratenzahlungsmöglichkeit im britischen Recht zieht er aber der deutschen Stundungsmöglichkeit des § 28 ErbStG deutlich vor, da sie vor allem unter keinem Notwendigkeitsvorbehalt stehe.
Der Autor stellt in diesem Kapitel dann knapp den Einfluss des Gemeinschaftsrechts auf die nationalen Erbschaftsteuerrechte dar, um kurz festzustellen, dass grundsätzlich die britischen Begünstigungen der unentgeltlichen Übertragung von Betriebsvermögen für sämtliches europäisches Betriebsvermögen gelten. Die Regelungen des BPR verstießen deshalb nur im Rahmen des wholly-or-mainy-test bei der Ausnahme für bestimmte Wertpapierdienstleister gegen Gemeinschaftsrecht, da diese nur für in Großbritannien ansässige Unternehmen gelte. Dies sei auch die einzige Regelung des BPR, die unter das EU-Beihilfeverbot falle. Im Anschluss geht der Autor auf die verfassungsrechtlichen Vorgaben der letzten Entscheidungen des deutschen Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 93, 121 bzw. 165 und BVerfGE 117, 1) für die Begünstigung der unentgeltlichen Übertragung von Betriebsvermögen ein (namentlich: ausreichende Gründe des Allgemeinwohls, erkennbare gesetzgeberische Entscheidung, sachgerechte Abgrenzung, gleichheitsgerechte Ausgestaltung, Zielgenauigkeit und Normenklarheit). Sodann wird der BPR an diesen Vorgaben geprüft, um anschließend die Übernahme einiger Einzelregelungen in das deutsche Recht empfehlen zu können. So dürfe grundsätzlich auch der 100-prozentige Abschlag bei der unentgeltlichen Übertragung von bestimmten Betriebsvermögen übernommen werden.
Die besprochene Arbeit ist insgesamt sehr gelungen. Leider kommt aber das britische Bewertungsrecht etwas zu kurz, was allerdings daran liegt, dass der Autor diese Regelungen ausdrücklich aus seiner Untersuchung ausgenommen hat. Sehr interessant sind vor allem die aufgezeigten Parallelen der deutschen Erbanfallsteuer und der britischen Nachlasssteuer im Hinblick auf die unentgeltliche Übertragung von Betriebsvermögen und dessen Begünstigung sowie die Analyse der britischen Einzelregelungen, deren Übernahme der Autor zumindest teilweise empfiehlt.
Quelle: Internationales Steuerrecht