Ivan M. Shynkarjov
Polnische Außenpolitik als Ansatzpunkt für eine Ostpolitik der Europäischen Union:
Das Beispiel der polnisch-ukrainischen Beziehungen von 1989-2002
Die dramatischen Umstände bei der Wahl Viktor Jušèenkos zum Staatspräsidenten haben die Ukraine in das Zentrum des öffentlichen Interesses gerückt. Über die erst seit 1991 unabhängige ehemalige Sowjetrepublik ist hierzulande wenig bekannt, und ebensowenig über die positive Rolle, die Polen bereits vor dem Beitritt zur EU bei der Heranführung der Ukraine an den Westen gespielt hat. Das hier vorzustellende Buch schließt insoweit eine Lücke, es gibt einen chronologisch präzisierten, systematischen Einblick in die polnisch-ukrainischen Beziehungen und die diesbezügliche Politik der EU, wobei die EU-„Outs“ Belarus und Moldova – und auch Russland – nicht vergessen werden.
Der Autor, ein junger ukrainischer Wissenschaftler, stellt im ersten Teil seines Buches die polnische Außen-, Europa- und Ostpolitik nach 1989 anhand polnischer Quellen vor und analysiert diese nach ihren Zielen und Institutionalisierungen im Hinblick auf Polens östliche Nachbarn, insbesondere die Ukraine.
Im zweiten Teil werden die Schwerpunkte der EU-Ostpolitik unter Berücksichtigung von EG-Abkommen, Kommissionsdokumente, Gemeinsame Erklärungen usw. dargestellt. Demnach verfügt die EU über ein Instrumentarium zur Regelung der Beziehungen zu den künftigen Nachbarn, das politische bzw. geopolitische Strategien umfaßt. Bezogen auf die Ukraine hat der Europäische Rat am 11. Dezember 1999 eine Gemeinsame Strategie angenommen, die erläutert wird.
Im dritten Teil werden die polnisch-ukrainischen Beziehungen, beginnend mit dem 16. Jahrhundert (der Union von Lublin 1569) bis zur Gegenwart (2002) geschildert. Dieser kurze historische Abriß macht auch dem mit der Materie weniger vertrauten Leser die Bedeutung der polnischen Ostpolitik für eine friedliche demokratische Entwicklung der Ukraine verständlich.
Polen war der erste Staat, der die Ukraine als unabhängigen Staat anerkannte und sie anschließend außenpolitisch unterstützte und förderte. Polen, das sich selbst um die Mitgliedschaft in der NATO und der EU bemühte, machte sich auf der internationalen Bühne zum Fürsprecher der Ukraine. Das ist um so bemerkenswerter, als das Verhältnis der Polen und Ukrainer zueinander vom 17. Jahrhundert bis in die Zeit kurz nach dem Zweiten Weltkrieg alles andere als ungetrübt war. Zwischen beiden Völkern hatte sich seit dem Gemetzel des Chmelnicki-Aufstands 1648 ein Berg von Unrecht, Schuld und gegenseitigem Haß angehäuft, der im 20. Jahrhundert durch die unselige Minderheitenpolitik Polens mit den berüchtigten „Pazifikationen“ in den 1930er Jahren, durch blutige Aktionen ukrainischer bewaffneter Verbände vor, während und kurz nach dem Zweiten Weltkrieg sowie durch die brutale Umsiedlungsaktion „Wis³a“ 1947 noch verstärkt wurde. Shynkarjov stellt anschaulich dar, daß es hier nicht zu gegenseitiger Geltendmachung von Gebietsansprüchen kam (man bedenke z.B. die geschichtlich bedingte starke emotionale Bindung der Polen an Lemberg), wie die polnische Außenpolitik nach 1989 agierte und wie positiv sich die gegenseitigen Beziehungen der beiden Staaten entwickelten.
Im vierten Teil werden zunächst die polnische Ausgangsposition sowie Ziele der künftigen polnischen Ostpolitik, entsprechend den Gemeinsamen Strategien und Abkommen der Europäischen Union, dargestellt. Neben den Beziehungen der EU zu den Nachfolgestaaten der UdSSR, der Zusammenarbeit im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik, Wirtschafts- und Handelsaspekten der Ostpolitik der EU, Außenhandel, Energiesicherheit und Aspekten der Innenpolitik thematisiert der Autor den Beitrag Polens bei der Gestaltung und Umsetzung der künftigen Ostpolitik der EU. Shynkarjov zieht den Schluß, daß eine Assoziation bzw. der Beitritt der Ukraine zur EU nicht ausgeschlossen sein sollte, und bezieht sich dabei unter anderem auf Äußerungen der US-Präsidenten Clinton und Bush. Der Abschnitt schließt mit der Darstellung von Überlegungen deutscher Wissenschaftler über die künftige EU-Ostpolitik, wobei der Autor insbesondere auf das diesbezügliche Strategiepapier der Bertelsmann-Stiftung eingeht.
In seiner Schlußbetrachtung hebt Shynkarjov nochmals die wichtige Rolle hervor, die Polen als anerkannter Ansprechpartner für die Ukraine (und in Zukunft wohl auch für Belarus) bei der Gestaltung der künftigen Ostpolitik der EU übernehmen wird.
Insgesamt handelt es sich um eine sehr aufschlußreiche und informative Arbeit, die nicht nur als kompakt gefaßtes Lehrmittel der polnisch-ukrainischen Beziehungen für Studierende, sondern ihrer Aktualität wegen auch einem weiten Leserkreis politisch Interessierter empfohlen werden kann.
Quelle: Osteuropa 11/2005, S. 140-141, Erhard Brödner